Kardioforum 2/2011

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KARDIOFORUM Aus der Klinik für die Praxis

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3. Jahrgang

Herzklappenerkrankungen

Kardiale Auskultation Konservative Therapie chronischer Herzklappenfehler Infektiöse Endokarditis Optimaler Op-Zeitpunkt bei Herzklappenvitien Minimalinvasive Mitralklappenrekonstruktion TAVI und Mitralklappen-Clipping MEDITEXT DR. ANTONIC www.kardioforum.com Herausgeber: Prof. Dr. Michael Block Klinik Augustinum München Prof. Dr. Johannes Brachmann Klinikum Coburg Prof. Dr. Thomas Budde Alfried Krupp Krankenhaus, Essen Prof. Dr. Bernd-Dieter Gonska St. Vincentius-Kliniken, Karlsruhe Prof. Dr. Dietrich Gulba Kreuzau Prof. Dr. Dieter Horstkotte Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad Oeynhausen Prof. Dr. Matthias Leschke Klinikum Esslingen a. N. Prof. Dr. Wolfgang Motz Klinikum Karlsburg, Herz- und Diabeteszentrum MecklenburgVorpommern Prof. Dr. Michael Oeff Städt. Klinikum Brandenburg, Brandenburg Prof. Dr. Ernst Vester Evangelisches Krankenhaus, Düsseldorf


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Editorial Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser, nach der arteriellen Hypertonie und der KHK stehen Herzklappen-Erkrankungen in Europa an dritter Stelle der kardiovaskulären Erkrankungen. Die häufigste Herzklappen-Erkrankung ist die Aortenklappenstenose, dieser folgt die Mitralklappeninsuffizienz. Die Lebensqualität der Patienten vermindert sich deutlich. Sie leiden unter Belastungsdyspnoe. Häufig ist bereits bei alltäglichen Aktivitäten die körperliche Belastung eingeschränkt. Matthias Leschke

Aufgrund der demographischen Entwicklung der Bevölkerung ist es zu einer Verschiebung der Herzklappen-Erkrankungen gekommen: Die Mitralstenose, die früher zu den häufigsten Vitien gehörte, ist dank der wirkungsvollen Prophylaxe des rheumatischen Fiebers heute nur noch von untergeordnete Bedeutung. Dagegen haben parallel zum Anstieg der Lebenserwartung der Bevölkerung die erst im höheren Lebensalter symptomatisch werdenden degenerativen Herzklappenfehler (Mitralinsuffizienz und insbesondere Aortenstenose) zugenommen. In der vorliegenden Ausgabe von Kardioforum haben wir Beiträge zu verschiedenen Aspekten der Diagnostik und Therapie von Herzklappenvitien zusammengetragen. Wir erinnern an einen grundlegenden Bestandteil der klinischen Untersuchung, die kardiale Auskultation. Lange Zeit war die klinische Differenzierung eines auffälligen kardialen Auskultationsbefundes die Domäne der Auskultationstechnik. Diese Kunst wird heutzutage wegen der modernen Echokadiographie leider vernachlässigt. Ihre Bedeutung ist jedoch auch im Zeitalter moderner kardialer Bildgebung nach wie vor unverzichtbar. Ein weiterer Beitrag behandelt das Spektrum konservativer Therapiemöglichkeiten chronischer Herzklappenfehler. Infektiöse Endokarditiden sind eine ernstzunehmende, vielfach letal verlaufende Erkrankung, die nur durch schnelle Diagnostik und konservative und chirurgische Behandlung zu beherrschen ist. Dem Spektrum chirurgischer Maßnahmen werden mehrere Beiträge gewidmet, wobei zuerst der optimale Zeitpunkt für einen chirurgischen Eingriff diskutiert wird. Die minimalinvasive Technik hat sich inzwischen auch in der Herzchirurgie durchgesetzt. In der interventionellen Kardiologie haben sich kathetergestützte Techniken in der Behandlung der schwerwiegenden Aortenstenose auch im hohen Alter, aber auch bei der Mitralklappeninsuffizienz (Mitralklappen-Clipping) durchgesetzt. Diese aktuellen Verfahren der kathetergestützten Implantation von Aortenklappen bei schwerer Aortenstenose und das Mitralklappen-Clipping bei Mitralinsuffizienz werden jeweils in einem eigenen Beitrag behandelt. Einer ganz aktuellen Therapiemethode der interventionellen Kardiologie widmet sich der letzte Beitrag zur Nierenarteriendenervation, die das therapeutische Armentarium der Bluthochdrucktherapie bei refraktärem Hochdruck signifikant erweitert. Mit einem nichtkardiologischen Thema schließen wir, einem Problem, das die Kollegen aller Fachrichtungen heute betrifft: Es geht um die Arztehe in der Krise. Wir sind überzeugt, dass die Themen des vorliegenden Ausgabe von großer praktischer Bedeutung sind. Wir wünschen Ihnen eine angenehme Lektüre, Ihr Prof. Dr. Matthias Leschke


Inhalt 4

Die kardiale Auskultation

8

Konservative Therapie chronischer Herzklappenfehler

12

Infektiöse Endokarditis

20

Optimaler Op-Zeitpunkt bei Herzklappenvitien

28

Minimalinvasive Mitralklappenrekonstruktion

32

Katheterunterstützte Rekonstruktion der Mitralklappe

38

Der perkutane, kathetergestützte Aortenklappenersatz (TAVI) – die Methode der Wahl beim älteren Menschen?

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min Yilmaz; S. 55 oben links: Dusan Todorowitsch; S. 55 oben Mitte: Janos Sebestyen;

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ISSN: 1866-1408


44

Neue Wege in der Schlafmedizin Schlafkongress in Mannheim

48

Nierenarteriendenervation als neues Therapieprinzip bei schwerer arterieller Hypertonie des Diabetikers

50

Arztehen am Anschlag Probleme und Lösungsmöglichkeiten

54

Kunst über alle Grenzen: Die European Artists

Gesunder Schlaf – klare Herzenssache SOMNOve SOMNO vent nt CR – die schlafmedizinische schlafmediziniische Ther Therapielösung sowie owie zentr zentraler, alerr, apielösung beii periodischer Atmung so Schlafapnoe gemischter und u kkomplexer omplexer Schlafapn noe WMtrakk--Technologie Technologie für optimale p Synchronität y t von PPatientenatmung aatientenatmungg und Gerät effizient: W Weinmanns einnmanns autoT autoTriLevel-Prinzip riLevel-Prinzip (auto (automatische omatische Anpassung der drei Dr Druckniveaus uckniveaus IP IPAP, APP, EP EPAP, PAP AP, EEP EEPAP) PA AP) Schutz vor Sau Sauerstoffentsättigung uerstoffentsättigung durch autom automatische atische Hintergrundfrequenz

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Die kardiale Auskultation Matthias Leschke

D Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Matthias Leschke Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie Klinikum Esslingen Hirschlandstr. 97 73730 Esslingen Tel.: 0711 31032401 Fax: 0711 31032405 m.leschke@klinikum-esslingen.de www.klinikum-esslingen.de

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ie Auskultation des Herzens ist ein grundlegender Bestandteil der klinischen Untersuchung. In Zeiten moderner kardialer Bildgebung wie Echokardiographie, kardialer CT- und MRT-Untersuchungen stellt die kardiale Auskultation nach wie vor eine unverzichtbare Technik zur klinischen Selektion und Risikostratifizierung und zum Screening dar, welche zur Beurteilung und Erkennung von klinischen Risikosituationen, wie einer akuten Herzinsuffizienz auf der Intensivstation, oder zur Schweregradeinschätzung eines Herzklappenfehlers in der Praxis nicht wegzudenken ist. Trotzdem wird diese altbewährte und jedem Arzt zugängliche klinische Untersuchungsmethode nicht in dem Maße gepflegt, wie sie es verdient hätte. Dabei erfordert, wie Hans Blömer in seinem phänomenalen Buch „Auskultation des Herzens“ 1966 bereits treffend formuliert hat, „die Auskultation weder einen finanziellen noch einen zeitlichen Aufwand: sie stellt auch keine Kunst für sich dar, die auf Grund einer speziellen Veranlagung nur besonderen ,Künstlern’ vorbehalten ist. Ganz im Gegenteil: die Auskultation setzt keine besondere Begabung voraus: sie kann und muss vielmehr durch ein intensives, jahrelanges Training erlernt werden“(1). Deshalb soll dieser Beitrag speziell den aktuellen Stellenwert der Auskultation bei Patienten mit dem aktuell häufigsten Vitium, der degenerativen Aortenstenose, herausarbeiten. Schon Hippokrates lehrte die Ärzte, das Ohr direkt an den Thorax des Patienten zu legen, um Herztöne und mögliche Herzgeräusche wahrzunehmen. Das Stethoskop, das zum Rüstzeug eines Arztes in die Kitteltasche (oder in der angloamerikanischen Medizin um den Hals) gehört, geht auf die Erfindung eines der berühmtesten Ärzte der Pariser Schule zurück. René Théophile-Hyacinthe Laennec (1781–1826) war es, der erstmals mit Hilfe einer Papierrolle die Geräusche im

Brustinneren einer Patientin „erhorchte“. Laennec hatte schnell bemerkt, dass er mit Hilfe einer zu einem Zylinder gedrehten Papierrolle weit mehr hören konnte als bei der direkten Auskultation (2). Die Papierrolle war nur ein Provisorium. Es galt, das Medium der Schallübertragung zu optimieren. Laennec nahm ein Stück Holz von 33 cm Länge und 3,5 cm Durchmesser, durchbohrte es in der Mitte und erweiterte den Kanal am Brustende zu einem trichterförmigen Ansatz. Dass das Stethoskop (griechisch: stethos: Brust, scopein: inspizieren), wie es von Laennec genannt wurde, zu einem Symbol eines ganzen Standes werden sollte, hat er nicht erahnen können. In der heutigen Zeit wird mittels Computertechnik eine elektronische Form der objektiven Auskultation entwickelt.

Systematisches zur kardialen Auskultation Die Auskultationsareale Noch heute wird an den klassischen fünf Auskultationspunkten festgehalten, die zur systematischen Auskultation des Herzens gehören: Das Mitralareal bzw. die Herzspitze: Es lässt sich anhand des Herzspitzenstoßes erfassen und ist Auskultationspunkt der Mitralklappe. Hier projizieren sich die an der Mitralklappe entstehenden Schallphänomene, für die die Fortleitung nach außen zur Axillarlinie charakteristisch ist. Das Trikuspidalareal: 4. bis 5. ICR am linken Sternalrand. Hier ist der Projektionspunkt der von der Trikuspidalklappe ausgehenden Geräuschphänomene, für die neben dieser Lokalisation vor allem die Zunahme der Lautstärke während der Inspiration pathognomonisch ist. Das Pulmonalareal: 2. ICR links parasternal. Nur in diesem Areal lassen sich der Pulmonalton und die Spaltung des zweiten Herztones wahrnehmen. Das Aortenareal: 1. und 2. ICR rechts parasternal. In der Aortengegend weisen die von der Aortenklappe ausgehenden


systolischen Geräusche ihr Punctum maximum auf. Der Erbsche Punkt, 3. ICR am linken Sternalrand, ist ein zentraler Auskultationspunkt mit dem Punctum maximum des Diastolikums der Aorteninsuffizienz. Die Herztöne Der erste Herzton wurde in seinem Entstehungsmechanismus lange als „Muskelton“ angesehen. Vielmehr ist er Ausdruck des Mitral- und Trikuspidalklappenschlusses mit Punctum maximum über der Herzspitze. Er ist leise bei schwerer Mitral- und Aorteninsuffizienz, Perikarderguss, Emphysem und Adipositas. Laut fällt er aus bei der Mitralstenose mit noch beweglichem vorderem Segel, Anämie und Hyperthyreose. Eine Spaltung des 1. Herztones findet sich beim Rechtsschenkelblock. Der zweite Herzton ist Ausdruck des Aortenund Mitralklappenschlusses. Bei der physiologischen atemabhängigen Spaltung schließt die Pulmonalklappe in der Inspiration deutlich nach der Aortenklappe. Eine atemabhängige, aber weite Spaltung, die auch in Exspiration vorhanden ist, besteht bei pulmonaler Hypertonie oder akuter Rechtsherzbelastung infolge einer Lungenembolie. Eine paradoxe Spaltung besteht bei linksventrikulärer Druck- oder Volumenbelastung mit verlängerter linksventrikulärer Austreibungszeit. Der dritte Herzton ist ein Extraton niedriger Frequenz, der durch die frühdiastolische Kammerfüllung hervorgerufen wird. Ein Galopprhythmus besteht auskultatorisch durch einen Dreierrhythmus aufgrund eines diastolischen Tons. Herzgeräusche Herzgeräusche werden nach ihrer Lokalisation, ihrer Intensität und ihrer Zugehörigkeit zum Herzzyklus in systolische und diastolische Geräusche, in typische Klappengeräusche, in akzidentielle und funktionelle Herzgeräusche differenziert. Bei Schulkindern findet sich in 70–90 % ein systolisches Geräusch, wohingegen ältere Erwachsene in 30–70 % ein Systolikum aufweisen. Die Differenzierung von systolischen Herzgeräuschen ohne erkennbare Pathologie (funktionelles Herzgeräusch) und solchen mit signifikanter Herzerkrankung stellt in der Praxis eine große Herausforderung dar. Zur Differenzierung des Lautstärkegrades eines Herzgeräusches bedient man sich der „Sechstel“Regel, wobei ein 1/6-Geräusch nur mit Mühe hörbar ist; ein 2/6-Geräusch ist leise, aber hörbar, ein 3/6-Geräusch laut. Wenn ein Schwirren wahr-

EC

1. HT

• valvulär: P. m. Aortenareal und häufig Herzspitze • supravalvulär: P. m. infra, supraklavikulär • HOCM: P. m. Herzspitze

Pulmonalstenose

• valvulär: P. m. 2. ICR links parasternal • infundibulär: 3./4. ICR parasternal

akute Mitralinsuffizienz

rascher Druckausgleich LV/LA bei großem Regurgitationsvolumen

chronische Trikuspidalinsuffizienz

praktisch nur in Kombination mit MI, wegen niedriger Druckverhältnisse leiser als MI

kleiner VSD

hoher Gradient, geringer Shunt, Schwirren

mittelgroßer VSD

keine schwere pulmonale Hypertonie, deutlicher Gradient, großes Shuntvolumen, Schwirren

großer VSD

schwere pulmonale Hypertonie, kein Shunt

2. HT

1. HT

2. HT

1. HT

2. HT

1. HT

Aortenstenose

2. HT

1. HT

2. HT

1. HT

2. HT

Abb. 1: Systolische Herzgeräusche

TÖT/ MÖT

1. HT

2. HT

Beginn erst nach Klappenöffnungston (Intervallgeräusch), je ausgeprägter Stenose desto länger das Diastolikum, bei absoluter Arrhythmie fehlt enddiastolisches Crescendo

Aorteninsuffizienz

häufig nur im Sitzen auskultierbar, bei schwerer akuter AR endet Geräusch deutlich vor Ende der Diastole

PR ohne pulmonale Hypertonie

seltener Befund, oft in Kombination mit Pulmonalstenos oder postop.

PR infolge einer pulmonalen Hypertonie

häufig kaum von AR zu unterscheiden, kann atemabhängig sein

1. HT

1. HT

2. HT

1. HT

1. HT

2. HT

1. HT

1. HT

Mitral-/ Trikuspedalstenose

2. HT

1. HT

Abb. 2: Diastolische Herzgeräusche

offener Ductus arteriosus Botalli 1. HT

2. HT

1. HT

aortopulmonal

1. HT

2. HT

1. HT arteriell

• aortopulmonales Fenster • rupturierter Sinus valsalvae • Koronarfisteln • abnormer Ursprung von Koronarien • Aortenisthmusstenose • laktierende Mamma

Kontinuierliche Herzgeräusche haben im Gegensatz zu systolisch-diastolischen Geräuschen P. m. zum Zeitpunkt des 2. HT, sind aber nicht immer pansystolisch und pandiastolisch

Nonnensausen 1. HT

2. HT

1. HT venös

Abb. 3: Kontinuierliche Herzgeräusche

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nehmbar ist, handelt es sich um ein 4/6-Geräusch; ein Geräusch, das ohne Stethoskop auf Distanz wahrnehmbar ist, stellt einen Lautstärkegrad von 6/6 dar. Bei den Herzgeräuschen sind eindeutige typische Muster bzw. Auskultationsbefunde beschrieben, die in Abb. 1 als systolische Herzgeräusche und in Abb. 2 als diastolische Herzgeräusche zusammengefasst sind. Abb. 3 beschreibt die Auskultationsbefunde kontinuierlicher Geräuschbefunde eines Ductus Botalli und verschiedener Shuntbildungen. Abb. 4 führt das bei Erstdiagnose eines Herzgeräusches weitere systematische diagnostische Follow-up auf. Grundsätzlich wird eine echokardiographische Abklärung bei einem Systolikum mit einem Lautstärkegrad von 3/6 und höher sowie bei 2/6, wenn zusätzliche Kriterien einer kardialen Grunderkrankung vorliegen, gefordert (3).

Praktische Differentialdiagnose des Systolikums Aus praktischen Gründen wollen wir uns den möglichen differentialdiagnostischen Erwägungen eines systolischen Geräuschbefundes zuwenden, zumal die degenerative Aortenstenose das heutzutage häufigste Vitium, gefolgt von der Mitralinsuffizienz, darstellt. Da Patienten mit degenerativer Aortenstenose auch im hohen Alter einer Operation oder einem interventionellen Vorgehen (TAVI) aus prognostischer und symptomatischer Indikation zugeführt werden sollten bzw. ein weiteres konservatives Procedere angesichts der schlechten Prognose sorgfältig abgewogen werden muss, ist die exakte Beurteilung eines Systolikums einer Aortenstenose von entscheidender Bedeutung. Folgende Fragestellungen sollten wir bei Erhebung eines Systolikums mit der Differentialdiagnose der Aortenstenose diskutieren: 1. Handelt es sich um ein funktionelles Systolikum oder um ein Systolikum einer Mitralinsuffizienz oder Trikuspidalinsuffizienz, welches atemabhängig ist und

PRESENCE OF CARDIAC MURMUR

SYSTOLIC MURMUR Grade 1 plus 2 and midsystolic

Asymtomatic and no associated findings

DIASTOLIC OR CONTINUOUS MURMUR Grade 3 or higher holosystolic or late systolic

Other signs or symptoms of cardiac disease*

No further workup

Echocardiography

Catheterization and angiography if appropriate

Abb. 4: Diagnostisches Follow-up eines neu diagnostizierten Herzgeräuschs

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auf abdominellen Druck an Lautstärke zunimmt, oder doch um eine Aortenstenose mit typischer Fortleitung in die Carotiden? 2. Liegt ein Systolikum einer Aortensklerose, einer hämodynamischen Aortenstenose oder etwa der diskrete Geräuschbefund einer dekompensierten Aortenstenose oder das vom Herzminutenvolumen in der Intensität abhängige Systolikum einer HOCM (hypertroph-obstruktiven Kardiomyopathie) vor? 3. Besteht ein dritter Herzton? Nachweis eines S3 korreliert mit einer höhergradig eingeschränkten linksventrikulären Funktion. 4. Handelt es sich um eine physiologische Spaltung eines zweiten Herztons oder liegt eine paradoxe Spaltung bei verlängerter linksventrikulärer Austreibungsphase vor? Infolge der Wirbelbildung an der stenosierten Aortenklappe kommt es zu einem systolischen Austreibungsgeräusch, welches auf die Austreibungsphase begrenzt ist. Es weist eine Spindelform auf. Mit zunehmender Blutströmungsgeschwindigkeit schwillt das Geräusch an und klingt gegen Ende der Systole wieder ab, woraus der spindelförmige Geräuschcharakter resultiert. Je geringer die Stenose ist, desto früher liegt das Geräuschmaximum; je schwerer die Aortenstenose ist, desto verzögerter ist die Blutaustreibung und desto später in der Systole liegt das Geräuschmaximum. In diesen Fällen kann das Geräusch sogar den Pulmonalton überdauern, und eine paradoxe Spaltung resultiert. Das Geräusch ist rau, mittel- bis tieffrequent und hat meist eine sehr große Schallintensität mit Punctum maximum im 1. und 2. ICR rechts. Die Fortleitung in die Carotiden stellt ein wichtiges differentialdiagnostisches Kriterium zur Abgrenzung gegen andere systolische Geräusche dar. Bei leichten bis mittelschweren valvulären Aortenstenosen findet sich nach dem ersten Herzton mit Beginn der Austreibungsphase ein frühsystolischer Extraton, der sich klickartig anhört und als Ejection-Click (auch als Gefäßdehnungston oder -anspannungston) bezeichnet wird. Ein solcher Zusatzton findet sich, wenn eine Dilatation der Aorta supravalvulär vorliegt. Der EjectionClick ist ein scharfer, hochfrequenter und kurzer Ton, der mit Beginn der Austreibungsphase auftritt. In der Abgrenzung von der organischen Aortenstenose ist es häufig schwierig, sog. Sklerosegeräusche zu differenzieren. Solche Geräusche haben ihren Ursprung in einem Missverhältnis zwischen dem Aortenostium und der aszendierenden Aorta oder in einem voluminösen, schnellen und turbulenten Aortendurchstrom, z. T. können die Aortensegel verkalkt, aber nicht verengt sein. Bei hyperzirkulatorischen Kreislaufsituationen, wie in der Schwangerschaft, bei der Anämie oder bei der Hyperthyreose können frühsystolische Geräusche ohne Fortleitung auftreten.


Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal zur Mitralinsuffizienz ist die raue, tieffrequente Schallcharakteristik mit Spindelform gegenüber dem weichen, hochfrequenten, pansystolischen Geräusch der Mitralinsuffizienz mit gleichbleibender Schallintensität während der gesamten Systole. Zur wichtigen Frage, inwieweit die Auskultationsbefunde bei Vitiumpatienten in korrekter Weise mit echokardiographischen Befunden korrelieren, liegen keine prospektiven Daten vor. Nach einer retrospektiven Analyse ist die Sensitivität der Auskultation im Vergleich zur Echokardiographie sehr niedrig, so dass die Auskultation offenbar als scheinbar zuverlässige Screeningmethode zur Erfassung von Herzklappenfehlern unter Berücksichtigung von Sensitivität und Spezifität enttäuschend ausfällt.

Wie aussagefähig und belastbar ist die Auskultation bei der Herzinsuffizienz? Wenn offenbar der Stellenwert der Auskultation in systematischen Untersuchungen zur Erfassung der richtigen Beurteilung eines Herzklappenfehlers auf Grund subjektiver untersucherabhängiger Faktoren verständlicherweise der Echokardiographie nachsteht, ist die Frage offen, wie zuverlässig und belastbar die Auskultation in der Selektion und Schweregradbeurteilung von Patienten mit klinischer Herzinsuffizienz ist. Selbstverständlich muss grundsätzlich der Auskultationsbefund im Kontext der klinischen Angaben und der klinischen Untersuchung beurteilt werden. Schließlich gehören pulmonale Rasselgeräusche zu den diagnostischen „Major“-Kriterien der Herzinsuffizienz. Die Ergebnisse einer kontrollierten Studie an 305 Patienten mit Dyspnoe und/oder Ödemen fielen ernüchternd aus. Nur bei der Hälfte der Patienten gelang den Untersuchern anhand ausschließlich anamnestischer und klinischer Kriterien der korrekte Nachweis

oder Ausschluss einer Herzinsuffizienz. Demnach kann die Diagnose der Herzinsuffizienz aufgrund ausschließlicher Beurteilung von Symptomatik und klinischer Befunde einschließlich der Auskultation den primär versorgenden Arzt vor große diagnostische Schwierigkeiten in der Primäreinschätzung stellen. Neben der großen Variabilität der klinischen Manifestation der Herzinsuffizienz spielt selbstverständlich die klinische Erfahrung des Untersuchers und die richtige Wertung des pulmonalen Auskultationsbefundes eine große Rolle für diese Ergebnisse. (4) Andererseits liegen eindeutige Daten dafür vor, dass der auskultatorische Nachweis eines dritten Herztones mit einer erhöhten kardiovaskulären Ereignisrate und einer eingeschränkten Prognose verbunden ist. Es besteht eine gute Korrelation zwischen dem mittels elektronischen Techniken erfassten 3. Herzton und erhöhten „Brain natriuretic peptide“ (BNP) – Werten mit einem positiven prädiktiven Wert von 75%, die als zuverlässiger Marker einer kardialen Dysfunktion gelten. Diese Daten zur Auskultation sollten uns dazu anregen, die Auskultation entsprechend dem Vorbild unserer klinischen Lehrer intensiver zu pflegen. Schließlich stellt das Stethoskop ein unverzichtbares Screeningtool zur Beurteilung von klinisch relevanten, häufig vital bedrohlichen Situationen auf der Intensivstation, bei der Visite und der klinischen Evaluation in der Praxis dar. Mit dem Stethoskop können wir Risikopatienten selektieren und gezielt einer weiterführenden Bildgebung mit den personell, finanziell und logistisch aufwendigen, aktuellen diagnostischen Methoden der nicht-invasiven und invasiven Bildgebung unterziehen. Schließlich haben wir neue therapeutische Optionen für ältere Patienten mit hochgradiger Aortenstenose, aber auch einer Mitralinsuffizienz, die u. a. in den anderen Beiträgen in diesem Magazin vorgestellt werden.

Literatur (1) Blömer H: Auskultation des Herzens und ihre hämodynamischen Grundlagen. Urban & Schwarzenberg, München-Berlin-Wien 1969 (2) Köhler U et al. Schalldiagnostische Verfahren – die Geschichte von Perkussion und Auskultation. Pneumologie 2004; 58: 525–30 (3) Rolden CA et al. Value of cardiovascular physical examination for detecting valvular heart disease in symptomatic subjects. Am J Cardiol 1996; 77: 1327–31 (4) Wright SP et al. Plasma aminoterminal pro-brain natriuretic peptide and accuracy of heart-failure diagnosis in primary care: a randomized controlled trial. J AM Cardiol 2003; 43: 1793–1800

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Konservative Therapie chronischer Herzklappenfehler Dieter Horstkotte, Cornelia Piper

B

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Dieter Horstkotte Kardiologische Klinik Herz- und Diabeteszentrum NRW Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum Georgstr. 11 32545 Bad Oeynhausen Tel.: 05731 971258 akleemeyer@hdz-nrw.de www.hdz-nrw.de

ei Patienten mit chronischen Herzklappenfehlern dient die konservative Therapie dazu: • typischen Komplikationen vorzubeugen; • eine adäquate medikamentöse Behandlung einzuleiten, um bei chronischer Volumenbelastung die Progression des Klappenfehlers zu verlangsamen und bei Mitralstenose deren Auswirkung auf den kleinen Kreislauf zu minimieren; • den Verlauf ausreichend engmaschig zu beobachten, um den optimalen Interventionszeitpunkt festzulegen (vgl. Beitrag von Budde und Mitarbeitern S. 20 in diesem Heft). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die subjektiv angegebene Symptomatik häufig nicht mit der hämodynamischen Schwere des Klappenfehlers oder der myokardialen Adaptation an die Druck-/Volumenbelastung korrespondiert. • Über angemessene/zumutbare Belastungen in Beruf und Freizeit ist zu beraten. Die zumutbare Belastung (Belastbarkeit) orientiert sich an der hämodynamischen Schwere des Klappenfehlers und der myokardialen bzw. pulmonalvaskulären Adaptation, nicht am Leistungsvermögen des Patienten.

Körperliche Belastung Aorteninsuffizienz Aufgrund der frequenzbedingten Verkürzung der Diastolendauer und der abfallenden systemischen Widerstände nimmt bei der chronischen Aorteninsuffizienz die Regurgitationsfraktion am totalen Schlagvolumen unter dynamischer Belastung ab. Sind bei kompetenter Mitralklappe, normalem effektivem Schlagvolumen und normaler Ejektionsfraktion auch unter Belastung kardiale Reserve und aerobe Kapazität (Spiroergometrie) nicht eingeschränkt, sind lediglich statische und höhergradige

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dynamische Belastungen zu meiden. Bei jeglicher Einschränkung der kardialen Reserve bzw. aeroben Kapazität sollte auf Belastungen über 1,5 W/kg auch von asymptomatischen Patienten verzichtet werden. Neben der Überprüfung der Operationsindikation ist beim Auftreten von Symptomen die körperliche Belastbarkeit auf Anstrengungen des täglichen Lebens zu reduzieren (< 1,0 W/kg). Mitralinsuffizienz Für Patienten mit Mitralinsuffizienz ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass bei Erhöhung der systemarteriellen Widerstände die dann zunehmende transmitrale Regurgitation eine plötzliche, kritische Drucksteigerung im linken Vorhof (Gefahr des Lungenödems) zur Folge haben kann. Ungewohnte Belastungen sollten deshalb vermieden werden. Ein konkomitierender arterieller Hochdruck bedarf einer besonders sorgfältigen medikamentösen Einstellung. Mitralstenose Da die Dyspnoe Leitsymptom der Mitralstenose ist und mit dem Ausmaß der pulmonalen Drucksteigerung eng korreliert, genügt meist die Empfehlung, beim Auftreten von Luftnot oder Hustenreiz die Belastung abzubrechen. Kritische pulmonale Drucksteigerungen bei Belastung sind in Abhängigkeit von der Klappenöffnungsfläche (KÖF) nicht wahrscheinlich: • bei KÖF > 2,5 cm² bis zu einer Belastung von 2,0 W/kg • bei KÖF 2,0–2,5 cm² bis 1,4 W/kg • bei KÖF 1,5–2,0 cm² bis 0,8 W/kg Aortenstenose Die statistisch belegte Gefahr belastungsinduzierter Synkopen und plötzlicher Todesfälle bei Patienten mit Aortenstenose zwingt zur Empfehlung, körperliche Belastungen einzuschränken. Synkopen können als Folge der unter Belastung abfallenden systemarteriellen Widerstände ohne adäquate Steigerung des linksventrikulären Aus-


wurfvolumens auftreten. Auf den konsekutiven Abfall der Koronarperfusion reagieren die bei fortgeschrittener Aortenstenose latent ischämischen subendokardialen Myokardareale besonders empfindlich, so dass sekundär ventrikuläre Arrhythmien auftreten können. Aus diesen Gründen sollte die Belastung selbst bei Patienten mit transvalvulären Druckverlusten unter 0,5 mmHg/ml SV, normalem Schlagvolumen (SV) und normaler linksventrikulärer Pumpfunktion auf 2,0 W/kg beschränkt bleiben. Alle übrigen Patienten sollten nur Belastungen des Alltagslebens verrichten. Von sportlicher Betätigung ist abzuraten.

Prophylaxe und Therapie von Arrhythmien Die häufigste mit Herzklappenfehlern vergesellschaftete Arrhythmie ist das Vorhofflimmern. Nach seinem erstmaligen Auftreten ist zu prüfen, ob die Wiederherstellung des Sinusrhythmus sinnvoll ist. Dies ist in der Regel nur der Fall, wenn vor Erstmanifestation des Vorhofflimmerns eine aktive Vorhofkontraktion bestand, mit dem Auftreten eine Leistungsminderung oder Zunahme der Symptome verbunden ist und Aussicht besteht, den Sinusrhythmus längerfristig zu erhalten. Bei fortgeschrittenen Klappenfehlern und einer Vorhofdilatation > 55 mm sind die Aussichten gering. Bei Mitralstenosen mit Klappenöffnungsflächen < 2,0 cm² und geeigneter Klappenmorphologie sollte nach dem erstmaligen Auftreten von Vorhofflimmern eine Valvotomie, bei Mitralinsuffizienzen eine Rekonstruktion erwogen werden. Bei Aortenklappenfehlern muss die Indikation zur Intervention neu beurteilt werden, da das Auftreten von Vorhofflimmern häufig auf eine Erschöpfung der myokardialen Adaptation hinweist. Das Auftreten (komplexer) ventrikulärer Arrhythmien deutet auf einen fortgeschrittenen myokardialen Strukturdefekt/Ischämien hin, so dass aus prognostischen Gründen meist eine Klappenintervention anzuraten ist. Bevor diese ausgesetzt und/oder eine antiarrhythmische Therapie eingeleitet wird, sollte der Rat

eines Kompetenzzentrums in Anspruch genommen werden.

Prophylaxe thromboembolischer Komplikationen Aufgrund der primären Endokardschädigungen sowie der unphysiologischen Blutströmung besteht bei zahlreichen erworbenen Vitien ein erhöhtes Risiko intrakardialer Thrombenbildungen und konsekutiver Kardioembolien. Sekundäre Veränderungen der kardialen Morphologie und Physiologie (Vorhof-, Ventrikelgröße und -funktion, Vorhofflimmern, Abnahme des HZV usw.) erhöhen das Thromboembolierisiko, so dass für die in Tabelle 1 genannten Indikationen Konsens über die Notwendigkeit einer oralen Antikoagulanzienbehandlung mit Vitamin-

Tabelle 1: Evidenzbasierte Indikationen zu einer Dauerbehandlung mit Vitamin-K-Antagonisten bei erworbenen Herzklappenfehlern Indikation: Mitralstenose und VF/instabiler SR Mitralstenose, SR und LA >55 mm Kombinierte Mitralklappenfehler und VF/instabiler SR Mitralinsuffizienz und VF Mitralvitien mit SR und TE oder Thrombennachweis (Echo) Mitralinsuffizienz und CI <2,0 l/min/m² oder LVEDD >70 mm alle sonstigen Klappenfehler mit kausalen TE Mitralstenose mit SR und SEC Aortenvitien, VF, SEC oder LV-Pumpfunktionsstörung Mitralklappenprolaps (MKP) und rezidivierende TE oder einmalige TE und SEC Keine Indikation: Mitralvitien mit SR ohne TE und mäßig vergrößerter linker Vorhof (< 55 mm) Mitralklappenprolaps ohne TE Mitralinsuffizienz mit SR Aortenvitien mit SR isolierte Trikuspidal- und Pulmonalvitien LVEDD = linksventrikulärer enddiastolischer Durchmesser, SEC = spontaner Echokontrast

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K-Antagonisten (VKA) besteht. Diese sollte wegen der resultierenden VKA-dosisabhängigen Downregulation des körpereigenen Protein C mit konsekutiver Hyperkoagulabilität immer einschleichend erfolgen. Das Risiko sowohl von Blutungen als auch von Thromboembolien ist weitgehend von der Stabilität der Gerinnungshemmung (Schwankung der INR-Werte) und weniger von der Intensität der Antikoagulation abhängig, solange der therapeutische Korridor (INR 2,0–3,5) eingehalten wird. Je niedriger der Ziel-INR, desto geringer die spontanen INR-Schwankungen! Es sollte den Patienten deshalb ein konkreter INR-Zielwert (statt eines Korridors!) genannt und eine möglichst geringe Fluktuation um diesen Wert angestrebt werden. Dies ist nach entsprechender Schulung am besten bei Messung der Gerinnungsaktivität durch den Patienten selbst unter Zuhilfenahme geeigneter Gerinnungsmonitore (z. B. CoaguChek) und Selbst-Adjustierung der Antikoagulanziendosis möglich. Bis auf wenige Ausnahmen wird bei allen Klappenfehlern derzeit ein Ziel-INR von 2,5 als optimal angesehen.

Unterbrechung einer Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten Wird die Unterbrechung einer VKA-Therapie erwogen, ist zunächst die Indikation hierfür kritisch zu prüfen. Alle Bagatelleingriffe (z. B. Zahnextraktionen) und die Mehrzahl der sonstigen Interventionen erfordern keinen INR < 2,0, können also im unteren therapeutischen INR-Korridor durchgeführt werden. Ist das Unterschreiten eines INR von 1,8 für weniger als 72 Std. erforderlich, sollte wegen des ansonsten beträchtlichen Blutungsrisikos auf eine „überlappende“ Heparintherapie verzichtet werden. Dieses Vorgehen ist durch die aktuellen Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) gedeckt! Die Unterbrechung einer Vitamin-K-Therapie resultiert in einer sofortigen Hochregulation von Protein C, dem stärksten körpereigenen Antikoagulans, was die sehr hohe Blutungsinzidenz bei zusätzlicher Heparintherapie erklärt.

Endokarditisprophylaxe Die neuen, nicht auf veränderter Datenlage, sondern auf Neubewertung der Risiko-Nutzen-Relation beruhenden Leitlinien sehen für alle Klappenfehler keine zwingende Indikation zur Behandlung mit Vitamin-K-Antagonisten. Diese neue Interpretation der Daten ist wesentlich dadurch zustande gekommen, dass bisher einer großen Anzahl von Patienten eine Endokarditisprophylaxe empfohlen wurde, bei denen entweder ein Klappenfehler überhaupt nicht vorlag oder lediglich ein trivialer Klappenfehler bestand. Bei hämodynamisch schwerwiegenden Klappenfehlern halten wir den Nutzen einer Endokarditisprophylaxe aus prognostischer Sicht weiterhin für gegeben, zumal in Europa

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bisher schwerwiegende Komplikationen im Zusammenhang mit einer Endokarditisprophylaxe nicht berichtet wurden. Wir empfehlen deshalb auch auch aus medico-legaler Sicht, die Vor- und Nachteile einer Endokarditisprophylaxe mit dem Patienten zu besprechen, das Ergebnis der Beratung zu dokumentieren und entsprechend dem Beratungsergebnis zu verfahren.

Nicht-chirurgische Therapie chronischer Herzklappenfehler Mitralstenose Die hämodynamischen Auswirkungen der Mitralstenose sind außer von der Mitralklappenöffnungsfläche vom transmitralen Flussvolumen (Herzzeitvolumen) und der Durchströmungszeit (Diastolendauer) abhängig. Die Prävention kritischer Anstiege des HZV erfordert eine Beratung über zumutbare Belastungen. Bei symptomatischen Patienten kann durch Kochsalzrestriktion und Behandlung mit Diuretika das Zirkulationsvolumen vermindert werden. Die medikamentöse Therapie hat darüber hinaus das Ziel, bei Sinusrhythmus durch Langzeitbehandlung mit Sympathikolytika die Herzfrequenz zu begrenzen, bei intermittierendem Vorhofflimmern schnelle Überleitungen zu vermeiden und bei chronischem Vorhofflimmern die Herzfrequenz dauerhaft so zu regulieren, dass eine größtmögliche Leistungsfähigkeit resultiert. Mitralvalvotomie Wegen der raschen Progredienz der Obstruktion ab einer Mitralklappenöffnungsfläche < 0,8 cm²/m² KÖF ist, unabhängig von sonstigen Parametern, eine Interventionsindikation aus hämodynamischer Sicht gegeben. Die perkutane Ballonvalvotomie der Mitralklappe unter Verwendung des Inoue-Ballons wird in darauf spezialisierten Zentren heute mit guten Langzeitergebnissen (anhaltende Beschwerdebesserung, Freiheit von Rezidivstenosen) durchgeführt, wenn die Klappe hierfür nach etablierten echokardiographischen Kriterien morphologisch geeignet ist. Die Indikation sollte großzügiger als zum Klappenersatz gestellt werden und schließt Patienten mit (rezidivierenden) thromboembolischen Komplikationen trotz ausreichender oraler Antikoagulation, drohendem Verlust des Sinusrhythmus sowie Frauen mit höhergradiger Mitralstenose (KÖF < 1,5 cm²) und beabsichtigter Schwangerschaft ein. Schlechte Valvotomieergebnisse sind nahezu ausschließlich durch unzureichende Selektion der Kandidaten bedingt. Klappenverkalkungen allein stellen aber keine Kontraindikation für das katheterinterventionelle Verfahren dar. Mitralinsuffizienz Bei gegebener Insuffizienzfläche wird die Regurgitationsfraktion weitgehend von den Widerständen bestimmt, gegen die das linksventrikuläre Myokard anterograd und


retrograd Volumen fördert (Impedanz). Eine Senkung des peripheren arteriellen Widerstandes hat einen Anstieg des anterograden Auswurfvolumens bei gleichzeitiger Abnahme der Regurgitationsfraktion zur Folge. Der frühzeitige Beginn einer Langzeittherapie mit Vasodilatatoren ist deshalb ein akzeptiertes Behandlungskonzept, obwohl Ergebnisse von Langzeitstudien über den prognostischen Nutzen oder eine Verlangsamung der Progression der Mitralinsuffizienz spärlich sind. Die Behandlung mit ACE-Inhibitoren oder AT1-Antagonisten ist verbreitet, obwohl sich eine parasympathisch vermittelte Verschlechterung der linksventrikulären Pumpfunktion manifestieren kann. Wegen der erwünschten Konstanz der Widerstandssenkung sind Substanzen mit langer Halbwertzeit vorteilhaft. Aorteninsuffizienz Die konservativen Therapiemöglichkeiten bei symptomatischen Patienten mit Aorteninsuffizienz und vergrößerten linksventrikulären Diametern sind auf eine Behandlung evtl. vorhandener diastolischer Blutdruckerhöhung, vorzugsweise mit ACE-Hemmern, beschränkt. Eine chronische Nachlastsenkung resultiert in einer Reduktion der linksventrikulären Volumina und der Regurgitationsfraktion und kann so die Progression der Aorteninsuffizienz verlangsamen. Bei Bradykardien mit konsekutiver Verlängerung der Diastolendauer resultiert eine erhebliche Zunahme der Regurgitationsfraktion. Bradykardisierende Medikamente sind deshalb kontraindiziert. Bei Ausbleiben der reflektorischen Frequenzsteigerung parallel zur Schwere einer Aorteninsuffizienz ist die Indikation zur DDD-SchrittmacherImplantation, bei Ausbildung eines Linksschenkelblocks die Indikation zur Resynchronisationsbehandlung frühzeitig zu stellen, falls die Operation des Klappenfehlers nicht ohnehin angezeigt ist. Aortenstenose Da der transaortale Druckgradient (dpAO) bei der Aortenklappenstenose (AS) streng mit dem transaortalen Durchströmungsvolumen korreliert, sind der kathetertechnisch gemessene dpAO oder der mittels cw-DopplerEchokardiographie bestimmte instantane Druckgradient prinzipiell ungeeignet, die Schwere einer AS zu quantifizieren. Zuverlässige Quantifizierungs-Parameter sind der transaortale Widerstand oder der transaortale Druckverlust (DV), der als Quotient aus mittlerem systolischem Druckgradienten (dpAO) und antegradem Schlagvolumen (SV) berechnet wird: DV = dpAO/SV(mmHg/ml). Kein Handlungsbedarf besteht bei Aortenstenosen, solange die systolische Wandspannung durch Zunahme der Muskelmasse und Abnahme des linksventrikulären Radius (konzentrische Hypertrophie) konstant bleibt (adäquate Adaptation) und keine Myokardischämien nachzuweisen sind (ST-Veränderungen im EKG, stumme Myokardischä-

mien im Holter-EKG). Eine Vorlastsenkung mit Nitraten und Diuretika und eine Behandlung mit Statinen kann die Progression des Klappenfehlers nach derzeitiger Datenlage nicht verlangsamen. Patienten mit normalen linksventrikulären Füllungsdrucken und Ejektionsfraktionen reagieren auf Vorlastsenkung häufig mit einer Verschlechterung der Auswurfparameter (erschöpfte Vorlastreserve). Rechtsseitige Klappenfehler Trikuspidalinsuffizienz. Die klinische Bedeutung einer Trikuspidalinsuffizienz wird weniger durch die Insuffizienzfläche als durch den rechtsventrikulären Druck bestimmt. Die medikamentös-konservativen Therapieergebnisse sind meist unbefriedigend. Die symptomatische diuretische Therapie ist wegen des Abfalls der rechtsventrikulären Füllungsdrucke einerseits und der konsekutiv verminderten Pumpleistung andererseits schwierig zu steuern. Da die Trikuspidalinsuffizienz selten isoliert auftritt und meist linksseitige Herzklappenfehler begleitet, ist bei der chirurgischen Intervention von Mitral- und/oder Aortenklappenfehlern auf eine begleitende Trikuspidalinsuffizienz zu achten und diese operativ zu beseitigen (Anulusraffung, ggf. Ringimplantation). Trikuspidalstenose. Bei der seltenen, isolierten Trikuspidalstenose ist jegliche medikamentöse Therapie ungeeignet, die venöse Stauungssymptomatik nachhaltig günstig zu beeinflussen. Die Valvotomie ist bei geeigneter Klappenmorphologie mit ähnlichen Langzeitergebnissen wie eine Valvotomie der Mitralklappen durchführbar. Das periinterventionelle Risiko ist geringer. Pulmonalklappenfehler. Bei Pulmonalstenosen stellt die Ballonvalvotomie die Therapie der Wahl dar. Angestrebt wird eine initiale Senkung des transvalvulären Gradienten um ca. zwei Drittel des Ausgangswertes. Im kurzfristigen weiteren Verlauf tritt durch Abnahme des muskulären Ausflussbahngradienten regelhaft eine weitere hämodynamische Verbesserung ein. Medikamentöse Therapieoptionen bei Pulmonalinsuffizienz sind nicht etabliert.

Dekompensierte chronische Herzklappenfehler Bei der Dekompensation eines chronischen Herzklappenfehlers sind aus praktischen Gesichtspunkten zwei Situationen zu unterscheiden: a) Erschöpfung der myokardialen Kompensation bei chronischer Druck- und/oder Volumenbelastung. In diesen Fällen ist die Indikation zur Intervention stets gegeben; der Zeitpunkt, zu dem Lebenserwartung und Lebensqualität optimal beeinflusst werden können, ist häufig jedoch bereits verstrichen (vgl. hierzu Beitrag von Budde und Mitarbeitern S. 20 im gleichen Heft). b) Verschlechterung der klinischen Situation bei einem bislang myokardial und pulmonalvaskulär komplett adaptierten Klappenfehler durch plötzliche Änderung der die hä-

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modynamischen Auswirkungen der Stenose oder Insuffizienz bestimmenden Faktoren. Typische Beispiele hierfür sind das akute Lungenödem bei Mitralstenose nach Auftreten einer Tachyarrhythmia absoluta sowie das Lungenödem bei Mitralinsuffizienz während einer hypertensiven Krise. Auf die beiden letzten Entitäten soll gesondert eingegangen werden. Die Dekompensation einer Mitralstenose (akutes Lungenödem) hat entweder eine Steigerung des Herzminutenvolumens (Anämie, Fieber, Schwangerschaft, Therapie

mit vasoaktiven Substanzen!) oder eine Verkürzung der Diastolendauer (Vorhofflimmern mit schneller Überleitung, Sinustachykardie) und damit eine kritische Erhöhung des transmitralen Flussvolumens und konsekutiv der linksatrialen Drücke zur Ursache. Eine medikamentöse Rekompensation gelingt in aller Regel rasch, sobald die verursachenden Faktoren beherrscht sind. Die Dekompensation einer Mitralinsuffizienz (meist akute Lungenstauung) bei erhaltener myokardialer Adaptation an die chronische Volumenbelastung wird durch

Infektiöse Endokarditis Cornelia Piper, Dieter Horstkotte

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Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Cornelia Piper Kardiologische Klinik Herz- und Diabeteszentrum NRW Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum Georgstr. 11 32545 Bad Oeynhausen Tel.: 05731 97-1323 cpiper@hdz-nrw.de www.hdz-nrw.de

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ndokarditiden sind mikrobiell und nicht-mikrobiell verursachte Entzündungen des valvulären und des parietalen Endokards sowie des Endothels der großen herznahen Gefäße. Mikrobielle („infektiöse“) Endokarditiden (IE), von denen die Infektion intrakardialer Implantate einen Sonderfall darstellt, können zwar durch nahezu alle Mikroorganismen verursacht sein, grampositive Bakterienspezies (Streptokokken, Enterokokken, Staphylokokken) dominieren jedoch. Trotz Verbesserung von Diagnostik, konservativer und operativer Therapie bleibt die Prognose der IE mit einer Letalität von 10–50 % ernst. Eine günstige Prognosebeeinflussung wird durch schnelle, sachgerechte Diagnostik, adäquate konservative Therapie und rechtzeitige chirurgische Intervention erreicht. Die jährliche Inzidenz liegt in Deutschland bei ca. 4–7 Erkrankungsfällen pro 100 000 Einwohnern (1). Ein weiterer Anstieg der Endokarditisinzidenz parallel zur Zunahme prädisponierter älterer Patienten mit degenerativen Herzklappenfehlern (Aortenstenose, Mitralinsuffizienz), palliativ operierten Vitien und Patienten mit intrakardialen Implantaten ist wahrscheinlich. Bei den zur IE prädisponierenden patientenseitigen Faktoren sind Grunderkrankungen und Therapiemaßnahmen (Diabetes mellitus, terminale Nierenin-

suffizienz, Leberzirrhose, Virushepatitis, Alkoholabusus, immunsuppressive Therapie, Bestrahlung, angeborene und erworbene Immundefekte, Malignome) von speziellen kardialen Prädispositionsfaktoren (vorbestehende Endokardveränderungen) abzugrenzen. Daneben spielen bei Patienten mit Diabetes mellitus (Hautläsionen), terminaler Niereninsuffizienz (Dialyse), Drogenabusus (intravenöse Injektionen), Verbrennungen und Polytraumata erhöhte Bakteriämiefrequenzen eine Rolle (2).

Pathogenese Voraussetzung für die Entstehung einer IE ist die Besiedlung des Endokards durch vermehrungsfähige Mikroorganismen. Normales Endokard ist weitgehend resistent gegen eine Besiedlung. Mikrothromben, die nach Verlust der endothelialen Thromboresistenz aufgrund morphologischer oder funktioneller Endokardveränderungen z. B. im Gefolge erworbener Herzklappenfehler entstehen können, bieten den Mikroorganismen dagegen die Möglichkeit zur Anhaftung (1). Kurz dauernde endogene Bakteriämien treten regelhaft während diagnostischer und therapeutischer Eingriffe auf. Arterielle und venöse Zugänge, Verweilkatheter, Respiratorbehandlungen, Infektionen (z. B. Pyelonephritiden, Bronchitiden, Meningitiden, Hautinfektionen, Cholezystitis)


akute Änderung der linksventrikulären Impedanz mit Anstieg des transmitralen Regurgitationsvolumens und der linksatrialen Drucke verursacht. Die Therapie besteht in einer Modulation der linksventrikulären Impedanz durch Senkung des systemarteriellen Widerstandes. Dies gelingt unter hämodynamischem Monitoring am schnellsten und zuverlässigsten mit Nitroprussidnatrium (Nipruss®). Do-

butamin (Dobutrex®) sollte Fällen vorbehalten bleiben, bei denen ein positiv inotroper Effekt erwünscht ist. Die Rückbildung des Lungenödems kann außer durch eine CMV-Beatmung mit positivem endexspiratorischem Druck (PEEP) oder CPPV-Modus durch Einsatz der chronisch venovenösen Hämofiltration (CVVH) beschleunigt werden.

können persistierende endogene Bakteriämien verursachen.

teilinfektionen, insbesondere Verbrennungswunden. Enterokokken weisen immer eine relative, oft ausgeprägte Resistenz gegenüber Penicillinen auf. Betalaktam-Antibiotika und Vancomycin sind nur bakteriostatisch wirksam, wobei sich die Wirksamkeit nach Überschreiten einer optimalen Konzentration verschlechtert (4). Die synergistisch wirksame Kombination mit einem Aminoglykosid ist wegen der resultierenden Bakterizidie unerlässlich. Staphylokokken Die Unterteilung in Koagulase-negative und -positive Spezies ist ohne molekulargenetisches Korrelat und erlaubt keine Rückschlüsse auf die Pathogenität. S.-aureus-Endokarditiden verlaufen meist akut oder foudroyant. Häufig finden sich ausgedehnte Zerstörungen des Klappengewebes („lokal unkontrollierte Infektionen“). Selbst bei frühzeitiger chirurgischer Intervention beträgt die Letalität etwa 20 %. Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus und Alkoholismus sind typische patientenseitige Prädispositionsfaktoren. S. epidermidis ist insbesondere als Verursacher von Polymer-assoziierter Endokarditis bedeutsam, da ein Teil dieser Erreger über die Fähigkeit verfügt, irreversibel an Polymeroberflächen zu haften und eine Matrix zu bilden, die den patientenseitigen Abwehrmechanismen und der Wirkung antimikrobieller Chemotherapeutika partiell entgegenwirkt (5). Ein zunehmender Prozentsatz der IE-verursachenden Staphylokokken ist nosokomialen Ursprungs und weist häufig Multiresistenzen auf.

Erreger Unter geeigneten Bedingungen können nahezu alle Mikroorganismen eine IE verursachen. Wegen ihrer besonderen Adhäsionsfähigkeit dominieren allerdings grampositive Kokken das Erregerspektrum. In den letzten Jahrzehnten haben sich erhebliche Verschiebungen zugunsten der Enterokokken und der Staphylokokken eingestellt. Streptokokken Penicillinsensible (MHKPEN < 0,125 mg/L) Streptokokken verursachen meist subakute, prognostisch günstige Krankheitsverläufe, solange die Diagnose in den ersten Krankheitswochen gestellt wird. Viridans-Streptokokken sind in aller Regel penicillinempfindlich; nur 1 % der Erreger weist eine Penicillinresistenz auf. Eine Sonderstellung nehmen die D-Streptokokken (insbesondere S. bovis) ein, die häufig bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen beobachtet werden und subakut oder chronisch verlaufen. S. bovis Biotyp I ist häufig mit gastrointestinalen Tumoren assoziiert (3). Enterokokken Ambulant oder im Krankenhaus erworbene Infektionen durch E. faecalis (ca. 90 %) und E. faecium (ca. 10 %) halten sich zahlenmäßig die Waage. In der Anamnese der Patienten finden sich häufig Harnwegsinfekte, intraabdominelle oder intrapelvine Infektionen, Dekubitalulzera, diabetische Gangräne und Weich-

Literatur bei den Autoren

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über 30 mg/dl erhöht ist. Wiederholte CRP-Bestimmungen sind zur Therapiekontrolle brauchbar. Ein normales CRP schließt eine Endokarditis praktisch aus. Eine Leukozytose, überwiegend mit Linksverschiebung, besteht bei mehr als 60 % aller Patienten mit IE. Bei akuten Verlaufsformen liegt sie praktisch immer vor. Leukopenien können durch gramnegative Erreger oder eine antibiotische Therapie bedingt sein. Diagnostik Procalcitonin soll zur Einschätzung des Schweregrades Die Anamnese hilft, die Dauer der Infektionssymptomatik der Sepsis herangezogen werden. (Fieber, Blässe, Unwohlsein, Leistungsminderung, ArBlutkulturen thralgien etc.) abzuschätzen und prädisponierende FaktoLeitliniengerecht sollten mindestens drei Blutkultursets ren zu eruieren. Allgemeine Krankheitssymptome wie Abgeschlagen- (jeweils aerob und anaerob) zu unterschiedlichen Zeitheit, Mattigkeit, rezidivierende Schweißausbrüche und punkten über die Punktion peripherer Venen unabhängig Leistungsknick bestehen bei nahezu allen, kontinuierliches vom Fieberverlauf steril abgenommen werden. Müssen oder remittierendes Fieber bei etwa 90 % der Patienten. die Proben zwischengelagert werden, erfolgt dies bei Zimmertemperatur. Obligat bei der mikrobiologischen DiagEs kann bei älteren Patienten mit subakuten Verlaufsformen, bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz, ze- nostik sind die Erregeridentifizierung bis zur Spezies und rebralen Blutungen oder medikamentenbedingt fehlen. Ein die Testung der minimalen Hemmkonzentration (MHK) im neu aufgetretenes Klappeninsuffizienzgeräusch ist diag- quantitativen Reihenverdünnungstest. Hauptursache für nostisch verwertbar, muss jedoch gegen systolische Ge- negative Blutkulturen ist eine vor Diagnosestellung eingeräusche bei Patienten mit akuten (erhöhtes Herzminuten- leitete Antibiotikatherapie. Diese sollte bei klinisch stabivolumen) oder chronischen Infekten (Anämie) abgegrenzt len Patienten abgesetzt werden, bevor ca. 48 Stunden später mit der Entnahme von Blutkulturen begonnen wird (6). werden (6). Serologie Labor Endokarditiden auf dem Boden einer Infektion mit BarDer Serumkomplementverbrauch manifestiert sich in einer Erhöhung des C-reaktiven Proteins, das bei Patienten tonellen, Brucellen und Coxiella spp. lassen sich nur mitmit IE in der Regel über 5 mg/dl, bei 20 % der Patienten tels serologischer Untersuchungen sichern (7). PCR Molekularbiologische MeTabelle 1: Bei den hier genannten Symptomen besteht ein thoden, insbesondere die dringender IE-Verdacht. Bei jedem dringenden Verdacht 23S rDNA real-time PCR, sind ist ein unverzügliches Echo-Screening und meistens in hohem Maße geeignet, Erreeine stationäre Behandlung erforderlich (nach 6). ger in exzidiertem Herzklappenmaterial zu identifizieren (8). „neuer“ Klappenfehler/(Insuffizienz-)Geräusch Der Nachweis von BakterienDNA in explantiertem HerzklapEmbolien ungeklärter Ätiologie pengewebe erlaubt keine AusSepsis ungeklärter Ätiologie sage über den Aktivitätsgrad der Infektion. Hämaturie, Glomerulonephritis, Verdacht auf Niereninfarkt Echokardiographie Fieber plus Bei den in Tab. 1 genannten • intrakardiales Polymermaterial Konstellationen besteht ein • andere Hochrisiko-Prädisposition dringlicher Endokarditisver• neue Arrhythmien oder Überleitungsstörungen dacht und nach den Leitlinien • Erstmanifestation einer Herzinsuffizienz die Indikation zur unverzügli• positive Blutkultur (mit „typischen“ Endokarditiserregern) chen Durchführung einer trans• Haut- und Retinamanifestationen thorakalen Echokardiographie • fokale oder unspezifische neurologische Symptome (TTE) (6). Bei möglicher Beteili• multifokale/wechselnde Lungeninfiltrate (Rechtsherz-IE) gung intrakardialer Implantate, • periphere Abszesse ungeklärter Ätiologie unzureichender Bildqualität der • Prädisposition und stattgehabte Interventionen/Diagnostik TTE oder der Notwendigkeit (Bakteriämie) einer chirurgischen Intervention Daneben werden als seltene Verursacher einer Endokarditis grampositive und gramnegative Stäbchenbakterien, insbesondere der für eine IE pathognomischen HACEK-Gruppe, gramnegative Kokken, Mycobakterien, Rickettsien und Chlamydien sowie Anaerobier (insbesondere Peptostreptokokken) gefunden.

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während einer floriden IE ist eine transösophageale Echokardiographie (TEE) unverzichtbar (Abb. 1) (1, 6, 9, 10, 11). Ein einzelner negativer TEE-Befund schließt bei klinisch bestehendem IE-Verdacht diese nicht aus, so dass eine erneute TEE innerhalb von 7–10 Tagen erforderlich ist. Echokardiographische Kontrolluntersuchungen (TTE und TEE) werden beim Auftreten von Komplikationen empfohlen, um das Ansprechen der medikamentösen Therapie zu überwachen und klinisch stumme Komplikationen frühzeitig zu erkennen (6). „Extrakardiale“ Diagnostik Um klinisch stumme periphere und zerebrale Embolien nicht zu übersehen, sollten Patienten mit florider IE eine abdominelle Sonographie und ggf. ein zerebrales MRT/CCT erhalten. Vor Operation einer floriden IE ist die Durchführung eines CCT sinnvoll, zum Ausschluss einer zerebralen Reperfusionsblutung nach stattgehabter zerebraler Embolie zwingend erforderlich (12).

Spezifische antimikrobielle Therapie Ein möglichst hoher Diffusionsgradient des günstigsten Antibiotikums/der günstigsten Antibiotikakombination ist zur Überwindung des Expositionsschutzes innerhalb der Vegetation anzustreben. Eine bakterizide Therapie und hohe, nur durch parenterale Applikation erzielbare Serumspiegel sind daher unerlässlich. Die gezielte Therapie der Endokarditiserreger entsprechend der minimalen Hemmkonzentration (MHK) stellt die optimale antibiotische Behandlung dar (Tab. 2). Eine unzureichende Therapiedauer bedingt wegen des Expositionsschutzes die Gefahr der Rezidivinfektion, so dass auch bei unkomplizierten Krankheitsverläufen eine 4-wöchige Therapie im Regelfall nicht unterschritten werden soll. Penicillinsensible Streptokokken Die Standardtherapie besteht aus Penicillin, Amoxicillin oder Ceftriaxon als Monotherapie bei Nativklappen-IE über vier Wochen, bei Prothesen-IE über sechs Wochen. Soll die Therapie bei unkomplizierter Nativklappen-IE auf zwei

Wochen verkürzt werden, wird eine Kombination der obengenannten Antibiotika mit einem Aminoglykosid (Gentamicin oder Netilmicin) empfohlen, da eine synergistische Wirkung beider Substanzen meist auch dann erzielt wird, wenn der Erreger gegen Aminoglykoside allein wenig empfindlich ist. Unter Berücksichtigung therapeutisch wünschenswerter, hoher Diffusionsgradienten einerseits und der Gefahr einer dosisabhängigen zytotoxischen Reaktion andererseits haben sich über 30 min applizierte Penicillin-Einzeldosen von 3–5 Mio. Einheiten (E) und Tagesgesamtdosen von 12–18 Mio. E bewährt. Bei hohen Penicillindosierungen ist auf Elektrolytentgleisungen zu achten. Das Aminoglykosid muss nach dem Penicillin verabreicht werden (vgl. Tab. 2). Mäßig penicillinsensible Streptokokken Die antibiotische Therapie unterscheidet sich dahingehend, dass für die ersten zwei Wochen der Behandlung eine Kombinationstherapie mit einem Aminoglykosid erfolgen soll (13) (Tab. 2). Enterokokken und penicillinresistente Streptokokken Enterokokken (insbesondere E. faecalis) haben in den letzten Jahren eine Toleranz gegen zahlreiche zellwandaktive Antibiotika (Betalaktam-Antibiotika und Vancomycin) erworben. MHK und MBK unterscheiden sich meist um mehrere Titerstufen. Hohe Penicillindosen verschlechtern die Bakterizidie oft (Eagle-Effekt). Die synergistisch wirksame Kombination mit einem Aminoglykosid ist zur Erzielung einer bakteriziden Wirkung des-

Abb.1: Transösophagealer Echobefund eines Patienten mit akuter Mitralklappen-DoppelflügelprothesenIE (blaue Pfeile: Prothesenoccluder, weiße Pfeile: flottierende Vegetationen)

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Tabelle II Therapieempfehlungen bei infektiösen Endokarditiden mit Erregernachweis Sonstige Bedingungen

Erreger

Penicillinverträglichkeit

Penicillin-empfindliche Streptokokken (MHKPen< 0,125 mg/L)

Penicillinunverträglichkeit und/oder Niereninsuffizienz (nicht stationäre Pat.) Penicillin- und Cephalosporinunverträglichkeit

mäßig Penicillinempfindliche Streptokokken (MHKPen 0,125–2 mg/L)

Penicillinverträglichkeit

Penicillinunverträglichkeit

Enterokokken und penicillinresistente Streptokokken (MHKPen 2–8 mg/L) MHKGenta < 500 mg/L)

Oxacillinempfindliche Staphylokokken (MSSA)l (MHKOxa < 1 mg/L)

Oxacillinresistente Staphylokokken (MRSA) (MHKOxa < 1 mg/L)

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Penicillin verträglichkeit

Penicillin unverträglichkeit oder MHKPen > 8 mg/L

Penicillinverträglichkeit

Penicillinunverträglichkeit

Empfindlichkeitsprüfung in vitro

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Antibiotikum

Dosierung

Therapiedauer

Evidenzgrad

Penicillin Ga,b

12–18 Mio E/24 h in 6 ED

Mindestens 4 Wochenc,o

oder Ampicillin

100–200 mg/kg/24 h in 4–6 Dosen

2 Wochen

nur bei verkürzter Therapie plus Gentamicinc,d,e

3 mg/kg/24 h als ED

2 Wochen

Ceftriaxon nur bei verkürzter Therapie

2 g/24 h als ED

4 Wochenc,o

plus Gentamicinc,d,e

3 mg/kg/24 h als ED

2 Wochen

Vancomycinf

2-mal 15 mg/kg/24 h

4 Wocheno

IC

Penicillin G oder

24 Mio E/24 h in 6 ED

4 Wocheno

IB

Ampicillin

200 mg/kg/24 h in 4–6 ED

4 Wocheno

plus Gentamicind

3 mg/kg/24 h als ED

2 Wocheno

Vancomycinf

2-mal 15 mg/kg/24 h

plus Gentamicind

3 mg/kg/24 h als ED

Amoxicillin oder

200 mg/kg/24 h in 4–6 ED

4–6 Wochen

Penicillin G

24 Mio E/24 h in 6 ED

4–6 Wocheni

plus Gentamicind,j

3-mal 1 mg/kg/24 h

4–6 Wocheni

Vancomycinf,j

2-mal 15 mg/kg/24 h

6 Wocheni,k

plus Gentamicin

3-mal 1 mg/kg/24 h

6 Wochen

Di- oder Flucloxacillina

12 g/24 h in 4–6 ED

4–6 Wochenk,o

IB

IB

IB

4 Wochen

IC

IB

IC d,g

i,k

plus Gentamicin

3-mal 1 mg/kg/24 h

3–5 Tage

Vancomycinf,p

2-mal 15 mg/kg/24 h

4–6 Wochenk,o

d,g,m

plus Gentamicin

3-mal 1 mg/kg/24 h

3–5 Tage

Vancomycinf,m,p

2-mal 15 mg/kg/24 h

6 Wochen

plus Gentamicind,g,m

3-mal 1 mg/kg/24 h

3–5 Tage 2 Wochen bei PVE

d,g,m

IB

IB

IB


Legende zu Tabelle II Kurzinfusion über 30 min Bevorzugt bei Patienten > 65 Jahre oder eingeschränkter Nierenfunktion c Bei unkompliziertem Erkrankungsverlauf und kurzer Erkrankungsdauer (< 3 Monate) kann nur bei Nativklappen-IE die Therapiedauer insgesamt auf zwei Wochen reduziert werden, wenn Gentamicin zusätzlich gegeben wird. d Kurzinfusion über 30 min nach Applikation des Betalaktam-Antibiotikums; Serumspiegelkontrollen zwingend erforderlich; Gentamicintalspiegel < 1 mg/L maximale Tagesgesamtdosis für Gentamicin 240 mg. e Bei empfindlichen Erregern alternativ Netilmicin (1-mal 4–5 mg/kg/24 h) f Kurzinfusion über mindestens 60 min; liegt der Vancomycinserumspiegel unter 25 l/ml, kann die ED erhöht werden; maximale Tagesgesamtdosis 2 g, Vancomycintalspiegel 15–20 mg/L. g Der klinische Benefit von Gentamicin konnte nicht sicher gezeigt werden, daher optional bei Nativ-IE, empfohlen bei Prothesen-IE. i Identische Therapiedauer für die Einzelkomponenten einer kombinierten Antibiotikatherapie, da nur die Kombination mit dem Aminoglykosid bakterizid wirksam ist; bei komplizierten Verläufen, echokardiographischem Nachweis großer Vegetationen (> 5 mm), einer mehr als 3-monatigen Erkrankungsdauer und Prothesen-IE ist eine sechswöchige Therapie vorzuziehen. j Bei „high-level“ Gentamicin-Resistenz (MHK > 500 mg/L) sofern empfindlich Streptomycin 1-mal 15 mg/kg/24 h (IA) oder verlängerte Betaa

b

halb unverzichtbar. Für die Auswahl des Aminoglykosids ist wesentlich, dass HLR gegenüber Gentamicin (MHK > 500 mg/l) in Deutschland selten ist. Bei E.- faeciumStämmen ist die Therapie mit Gentamicin dagegen nicht sinnvoll, da deren Aminoglykosidacetylase auch Gentamicin inaktiviert. In jedem Fall muss die synergistische Wirksamkeit verschiedener Aminoglykoside mikrobiologisch geprüft werden. In Kombination mit Gentamicin können prinzipiell Vancomycin oder Ampicillinderivate eingesetzt werden. Die 4-wöchige Kombination von Amoxicillin oder Ampicillin und Gentamicin gilt als Therapie der Wahl bei der Nativklap-

lactam-Therapie. Alternativ Ampicillin plus Ceftriaxon bei E. faecalis (IIaB) - bei Betalactam-Resistenz durch Betalactamase Ampicillin-Sulbactam (IC), durch PBP5-Alteration Vancomycin-Schema - bei Multiresistenz gegen Aminoglykoside, Betalactam-Therapie und Vancomycin wird alternativ empfohlen: Daptomycin 1-mal 6 mg/kg/24 h (ggf 8–12 mg/kg) KG, Linezolid 2-mal 600 mg/24 h (cave: hämatologische Toxizität), Quinupristin-Dalfopristin (3-mal 7,5 mg/kg/24 h oder Imipinen 3–4-mal 1 g/24 h plus Ampicillin oder Ceftriaxon plus Ampicillin jeweils ≥ 8 Wochen k Lediglich bei unkomplizierten Erkrankungsverläufen ist eine nur vierwöchige Therapiedauer vertretbar. l Mehr als die Hälfte der Koagulase-negativen Staphylokokken sind oxacillin-resistent. m Bei koagulasenegativen Staphylokokken und gezielter Indikation (Abszesse, intrakardiale Fisteln, Implantation prothetischen Materials) zusätzlich 2-mal 600 mg Rifampicin während der gesamten Therapiedauer o Sechs Wochen bei Prothesenendokarditis p Bei intermediärer Vancomycin-Resistenz (MHK Vanco 4–16 mg/L) oder „high-level“ Vancomycin-Resistenz wird empfohlen: Daptomycin 1 x 6 mg/kg/24 h (ggf. 8–12 mg/kg/24 h), Quinopristin-Dalfopristin (Synerid) mit/ohne Betalactam-Antibiotikum, Betalactam-Antibiotikum plus Oxazolidinone oder plus Vancomycin

pen-IE. Bei komplizierten Verläufen oder Prothesen-IE ist eine 6-wöchige Therapie zu empfehlen. Für Patienten mit Penicillinunverträglichkeit ist Vancomycin erprobt. Bei Multiresistenz gegen Aminoglykoside, Betalaktam-Antibiotika und Vancomycin werden alternativ Daptomycin, Linezolid (cave: hämatologische Toxizität), Quinupristin/Dalfopristin (Synercid) oder Imipenem plus Ampicillin oder Ceftriaxon plus Ampicillin jeweils für > 8 Wochen empfohlen (Tab. 2) (14, 15). Staphylokokken Mehr als 80 % der Staphylokokken produzieren Penicillin-Betalaktamase

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(Penicillinresistenz). Staphylococcus-aureus Stämme sind jedoch sensibel (MHKOxa < 1 mg/L) auf Isoxazolylpenicilline und Cephalosporine. Die Kombination mit einem Aminoglykosid resultiert tierexperimentell in einer rascheren Sterilisierung der Vegetation und einer günstigen Prognose. Bei signifikant erhöhter Nephrotoxizität und sinkendem Überlebensvorteil ist die zusätzliche Therapie mit Gentamicin bei Nativklappen-IE nur noch optional zu empfehlen (6). Bei der Antibiotikawahl sind die zunehmenden Raten von Oxacillin-resistenten S.-aureus-Stämmen zu berücksichtigen. Hier bietet sich nach Rücksprache mit einem Kompetenzzentrum der Einsatz von Daptomycin an (16). Über weitere sinnvolle Antibiotikakombinationen informiert Tab. 2. Für Methicillin- bzw. Oxacillin-resistente S.-aureusStämme, die Oxacillin-resistenten S.-epidermidisStämme (bis zu 80 %) sowie bei Penicillinunverträglichkeit ist Vancomycin das Antibiotikum der Wahl. Daptomycin ist eine in geringem Umfang erprobte Alternative (17). Daptomycindosen von 8–12 mg/kg KG erwiesen sich bei der Behandlung von komplizierten, grampositiven Infektionen als wirksam und sicher (18). Die Kombination von Vancomycin mit Gentamicin und Rifampicin (oder Fosfomycin) ist der Vancomycinmonotherapie häufig überlegen. Bei Gentamicin-resistenten Staphylokokken ist aufgrund von in-vitro-Empfindlichkeitsprüfungen ein alternatives Aminoglykosid (z. B. Tobramycin) zu wählen. Gramnegative Erreger und Pilze Endokarditiden durch gramnegative Bakterien und Pilze machen in Deutschland weniger als 10 % aller IE aus. Standardisierte Empfehlungen zur Behandlung sind nicht sinnvoll, da die Empfindlichkeit gegenüber Antibiotika/Antimykotika stark differiert. Die Therapiestrategie ist von der Empfindlichkeitsprüfung in vitro abhängig und sollte mit einem Kompetenzzentrum abgesprochen werden. Kulturnegative Endokarditiden Die Therapie erfolgt unter Berücksichtigung der klinischen Symptomatik. Bei subakutem Beginn richtet sich die Behandlung primär gegen penicillinempfindliche Streptokokken. Bei akuten Verläufen ist die auch gegen Oxacillinund Methicillin-resistente Staphylokokken wirksame und bei Penicillinallergien einsetzbare Kombinationsbehandlung mit Vancomycin und Gentamicin zu empfehlen (6). Adjuvante Therapie Die adjuvante Therapie bei florider IE unterscheidet sich nicht prinzipiell von der bei Sepsis anderer Genese. Zu beachten ist, dass die Niere bei der IE in mehr als der Hälfte der Fälle funktionell beeinträchtigt ist. Prärenal bedingte Ischämien, durch Toxine oder Antibiotika verursachte tubuläre Läsionen, Parenchymreduktionen oder primär glomeruläre Läsionen im Gefolge zirkulierender Immunkomplexe können einzeln oder in Kombination zur Störung der renalen Arzneimittelelimination führen. Bei der Therapie

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der IE ist deshalb das Wirkspiegel-Monitoring der eingesetzten Pharmaka von besonderer Bedeutung. Dies gilt besonders für Antibiotika oder Antibiotikakombinationen, die (potenzierend) nephro- oder ototoxisch wirksam sein können.

Typische IE-Komplikationen und deren Management Mit dem Auftreten typischer Komplikationen verschlechtert sich die Prognose erheblich, so dass in jedem Fall individuell zu prüfen ist, ob eine dringliche chirurgische Intervention indiziert ist. Bei zahlreichen Komplikationen wird mit der chirurgischen Intervention eine signifikante Prognoseverbesserung erzielt (6, 19). Die trotz gezielter, MHK-gesteuerter Antibiotikatherapie über mehr als 48 h persistierende Sepsis beeinflusst die Prognose einer IE besonders nachhaltig negativ. Dies gilt besonders, wenn ß-hämolysierende Streptokokken, Enterokokken oder Staphylokokken ursächlich sind. Die chirurgische Entfernung der Sepsisquelle bzw. die massive Reduktion der Erregerzahl führt statistisch zu einer deutlichen Prognoseverbesserung. Akute Herzklappeninsuffizienz Das Auftreten eines Lungenödems im Gefolge einer akuten Mitralinsuffizienz ist im Vergleich zu einem Lungenödem auf dem Boden einer akuten Aorteninsuffizienz prognostisch günstiger zu bewerten. Selbst leicht- bis mittelgradige, akut entstandene Mitralinsuffizienzen können ein Lungenödem zur Folge haben, das Folge des akut erhöhten linksatrialen Drucks ist. Liegt keine bedeutsame Kontraktilitätsstörung des Myokards vor, gelingt die Rekompensation meist, wenn durch Vasodilatatoren die linksventrikuläre Impedanz so beeinflusst wird, dass das Regurgitationsvolumen nachhaltig vermindert wird. Dies erfolgt unter Einsatz von Vasodilatatoren, z. B. Nitroprussidnatrium, und bei nicht ausreichend ansteigendem Cardiac Index zusätzlich durch adrenerge Substanzen, z. B. Dobutamin, ggf. auch unter Einsatz der intraaortalen Gegenpulsation, mit dem Ziel, den systemischen Gefäßwiderstand auf 400–600 dyn × s × cm–5 zu senken (20). Bei Entwicklung eines progredienten Lungenödems ist eine kontinuierliche positive Überdruckbeatmung unerlässlich. Eine akute chirurgische Intervention ist bis auf zu begründende Ausnahmen indiziert. Die Prognose ist besonders schlecht, wenn im Gefolge einer Aortenklappen-IE eine Klappeninsuffizienz auftritt (myokardiales Pumpversagen), da das Myokard an die akute Volumenbelastung nicht adaptiert ist. Die dringliche Indikation zur Operation besteht unabhängig von infektionsseitigen Komplikationen aus hämodynamischer Sicht bei einem Cardiac Index unter konservativer Therapie < 1,8 l/min/m2 bzw. einer Regurgitationsfraktion > 30 % des antegraden Auswurfvolumens.


Systemische Thromboembolien Die Inzidenz thromboembolischer Komplikationen ist empirisch bei Streptokokken-Endokarditiden geringer als bei Staphylokokken- und Enterokokken-Endokarditiden. Im Vergleich zur TEE unterschätzt die TTE die Vegetationsgröße regelhaft. Große Vegetationen (> 10–15 mm) zeigen eine höhere Tendenz zu thromboembolischen Komplikationen als solche geringerer Diameter. Dies gilt insbesondere für Vegetationen, die sich im Bereich der hoch mobilen Segelanteile der Mitralklappe befinden und deshalb besonders hohen Beschleunigungen ausgesetzt sind. Bei kompliziertem Verlauf einer IE und Vegetationen an der Aorten- oder Mitralklappe von > 10 mm wird eine dringliche Operation empfohlen (6). Das Rezidivrisiko nach erstmaliger Thromboembolie ist beträchtlich, wenn nach dem Komplikationseintritt weiterhin Vegetationen nachweisbar sind. Die aktuellen Leitlinien empfehlen in dieser Situation deshalb eine dringliche Operation (6). ZNS-Beteiligung Die Mortalität der durch eine ZNS-Beteiligung komplizierten Endokarditisverläufe beträgt 41 % vs. 15 % ohne neurologische Komplikationen (12). Nach zerebralen Embolien sollte bei fortbestehendem Thromboembolierisiko die Operation dringlich, spätestens binnen 48 h durchgeführt werden. Vor der Operation ist die Durchführung eines CCT zum Ausschluss einer zerebralen Reperfusionsblutung zwingend (6, 12). Akutes Nierenversagen (ANV) Unabhängig von der oft multifaktoriellen Genese zeigt das Auftreten eines ANV eine so drastische Prognoseverschlechterung an, dass eine chirurgische Intervention mit Beseitigung der Sepsisquelle in aller Regel indiziert ist (6, 19). Arrhythmien und Überleitungsstörungen AV-Blockierungen bestehen bei ca. 20 % der Erkrankten. Sie weisen auf intramyokardiale Abszess- oder Fistelbildungen bzw. eine Begleitmyokarditis hin. Seltener sind intraventrikuläre Erre-

gungsausbreitungsstörungen, Schenkelblöcke oder supraventrikuläre/ventrikuläre Arrhythmien. Rezidiv und Reinfektion Wegen des Rezidiv- und Reinfektionsrisikos bei bakterieller Endokarditis hat es sich bewährt, die Patienten nach Beendigung der antibiotischen Therapie weitere 72 h engmaschig mit Körpertemperaturkontrollen und Überprüfung der Entzündung-anzeigenden Laborwerte zu überwachen. Alle Patienten mit vorausgegangener IE haben ein erhöhtes Risiko für eine Zweitinfektion und sollten daher insbesondere vor zahnärztlichen Eingriffen mit potentieller Verletzung der Mundschleimhaut eine Antibiotikaprophylaxe erhalten (6).

Infektionen von prothetischem Material IE unter Beteiligung intrakardial implantierten Polymermaterials (PIE), z. B. Herzklappenprothesen oder Schrittmachersonden, verlaufen komplikationsträchtiger und prognostisch ungünstiger als eine durch identische Erregerspezies verursachte Nativklappen-IE. Wesentliche Bedeutung für die Pathogenese und die schwierigere antimikrobielle Sanierung der PIE kommt der Interaktion von Polymermaterial, Biofilmen und Bakterienoberflächen zu. Insbesondere Koagulasenegative Staphylokokken bilden eine extrazelluläre Schleimsubstanz (Glycocalix), die faktisch eine Antibiotikaresistenz bedingt, da die zur Überwindung der Diffusionsbarriere erforderlichen AntibiotikaSerumspiegel in vivo nicht erzielbar sind (5). Die komplette Entfernung allen Polymermaterials ist deshalb in aller Regel Voraussetzung für eine Sanierung. Gemäß den aktuellen Leitlinien besteht bei gesicherter PIE eine (IB) Indikation zur vollständigen Entfernung des Devices. Die Reimplantation des Devices, sofern erforderlich, sollte erst nach Beendigung der Antibiose erfolgen (6). Die Einbeziehung eines Kompetenzzentrums beim Management von Patienten mit PIE ist ratsam.

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Optimaler Op-Zeitpunkt bei Herzklappenvitien Markus Küpper, Florin Laubenthal, Thomas Budde

H

Korrespondenzadresse: Dr. Markus Küpper Abteilung für Kardiologie Medizinische Klinik I Alfried Krupp Krankenhaus Alfried-Krupp-Str. 21 45131 Essen Tel.: 0201 434-2525 Fax: 0201 434-2376 Markus.Kuepper@krupp-krankenhaus.de www.krupp-krankenhaus.de

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erzklappenerkrankungen stehen in Europa an dritter Stelle der kardiovaskulären Erkrankungen nach der arteriellen Hypertonie und der KHK (1). Sie können lange Zeit asymptomatisch verlaufen. Neben der körperlichen Untersuchung und Anamnese ist die transthorakale Echokardiographie die wichtigste Technik zur Sicherung der Diagnose und Quantifizierung des Schweregrades. Sie bildet gemeinsam mit der transösophagealen Echokardiographie sowie der Rechts- und Linksherzkatheteruntersuchung und der Koronarangiographie die Grundlage zur Evaluation der Klappenerkrankung und zur Diagnostik einer eventuell begleitenden koronaren Herzerkrankung. Die Ergometrie und Stress-Echokardiographie mit physiologischer oder chemischer Belastung kommen bei der Klärung wichtiger Differentialdiagnosen und prognostischer Fragen zum Einsatz. Andere bildgebende Verfahren wie CT, MRT, Fluoroskopie oder Radionuklidangiographie werden nur zur Beantwortung ganz spezieller Fragestellungen hinzugezogen. Um die Entscheidung zur Intervention, sei es operativ oder mit kathetergestützten Verfahren, zu treffen, muss eine individuelle Nutzen-Risiko-Analyse erfolgen. Dabei muss die Prognose des natürlichen Verlaufes der Klappenerkrankung gegen die Ergebnisse der interventionellen Optionen abgewogen werden. Oft kann die Prognose des natürlichen Verlaufs mangels aktueller Daten nur schwierig abgeschätzt werden (2). Zur Einschätzung der perioperativen Mortalität hat sich der EuroSCORE als hilfreich erwiesen (3, 4). Hinzugezogen werden hier neben Alter und Geschlecht auch der präoperative Zustand und Begleiterkrankungen. Berechnungen für den einzelnen Patienten sind online auf der Internetseite http://www.euroscore.org möglich. In die Entscheidungsfindung sollten neben den lokal verfügbaren Therapieoptionen auch die Lebenserwartung, Lebensqualität und die Wünsche des Pa-

tienten einfließen. Der Patient und die Angehörigen müssen fundiert und ausführlich über die Risiken und Vorteile der verschiedenen Therapieoptionen informiert werden. Im Folgenden soll versucht werden, die aktuellen Empfehlungen zur Intervention und Operation bei den verschiedenen Klappenvitien darzulegen, um in der täglichen Praxis den Zeitpunkt zur Intervention oder Operation nicht zu verpassen.

Aortenklappenstenose (AS) Die Aortenklappenstenose ist in Europa die häufigste Herzklappenerkrankung. Die Patienten sind oft lange asymptomatisch. Ab einer Klappenöffnungsfläche von kleiner als 1 cm² liegt eine hochgradige Stenose vor (2). Die typische Symptom-Trias sind Belastungsdyspnoe, pektanginöse Beschwerden und Schwindel/Synkopen. Manche Patienten erleiden eine kardiale Dekompensation als erstes Symptom. In der körperlichen Untersuchung fällt ein spindelförmiges raues Systolikum im zweiten Interkostalraum rechts parasternal auf. Da das Geräusch durch die Turbulenzen an der Klappe in der Austreibungsphase entsteht, hat es eine geringe Latenz vom ersten Herzton. Mit zunehmender Flussgeschwindigkeit wird es lauter, um gegen Ende der Systole wieder leiser zu werden. Da bei höhergradigen AS die Austreibungsphase immer später in die Systole fällt, rutscht das Geräusch immer näher an den zweiten Herzton heran und kann ihn sogar übertönen. Nicht also die Lautstärke des Systolikums ist Kriterium für den Schweregrad der Stenose, sondern das zeitliche Auftreten während der Systole. Typischerweise wird es zur Herzspitze und in die Karotiden fortgeleitet. Mit zunehmender Stenosierung wird der erste Herzton leiser und kann zum Teil ganz fehlen. Man nimmt an, dass es durch den verzögerten Druckanstieg im linken Ventrikel zu einem langsamen und somit leisen Mitralklappenschluss


kommt. Der zweite Herzton wird mit zunehmender Stenosierung ebenfalls leiser, da es zu einer sklerotischen Fixierung des Klappengewebes kommt. (6) Die Diagnose wird gesichert durch die transthorakale Echokardiographie. Prognose und Entscheidung zur Intervention Die Wahrscheinlichkeit für asymptomatische Patienten, an einem plötzlichen Herztod zu versterben, ist mit unter 1 %/Jahr gering (7). Etwa 50 % der Patienten, die bei Diagnosestellung asymptomatisch sind, entwickeln in den nächsten zwei Jahren Symptome. Daher wird die Indikation zur Intervention kontrovers diskutiert. Zum einen kann eine frühe Sanierung eine drohende und vielleicht nicht vollständig reversible Einschränkung der Ejektionsfraktion (EF) und weitere linksventrikuläre Hypertrophie verhindern, zum anderen rechtfertigt dies allein nicht ein möglicherweise durch Komorbiditäten bedingtes hohes OP-Risiko. Asymptomatische Patienten sollten ergometrisch belastet werden. Treten unter Belastung Symptome auf (AP, Schwindel, Dyspnoe), so ist ein Übergang in eine symptomatische AS in den nächsten 12 Monaten zu erwarten. Als Indikationen zur Intervention sind eine reduzierte EF, die allerdings nur sehr selten asymptomatisch ist, und das Auftreten von Symptomen unter ergometrischer Belastung akzeptiert. Eine unauffällige Ergometrie hat einen sehr hohen negativen Vorhersagewert für kardiale Ereignisse in den nächsten sechs bis zwölf Monaten (14). Somit kann trotz hochgradiger AS bei Symptomfreiheit ein Kontrollintervall von etwa sechs Monaten ausreichend sein. Dann ist, mittels klinischer Symptomatik und Echokardiographie (Zunahme der Flussgeschwindigkeit), die Entscheidung zur konservativen Therapie erneut zu evaluieren. Bei Befundkonstanz kann dann ein weiteres Kontrollintervall von sechs bis zwölf Monaten mit dem Patienten vereinbart werden, wobei die Patienten ausführlich über eine sofortige Wiedervorstellung bei Auftreten von Beschwerden informiert werden müssen. Obwohl mit höherem Alter das OP-Risiko steigt, ist ein hohes Patientenalter an sich keine Kontraindikation. Nach individueller Abwägung kann auch bei über 80- oder 90Jährigen die Intervention indiziert sein, da sie sowohl die Lebenszeit verlängern als auch die Lebensqualität deutlich verbessern kann. Voraussetzung ist jedoch eine symptomatische AS. Eine hochgradige, symptomatische AS ist eine Indikation zur frühzeitigen Intervention, da die Prognose sonst schlecht ist. Art der Intervention Aktuell stehen vier Verfahren zur Therapie der AS zur Verfügung. Die größte Erfahrung besteht mit dem operativen Aor-

tenklappenersatz. Die Mortalität liegt bei den unter 70-Jährigen, die einen alleinigen Aortenklappenersatz erhalten, zwischen 3 und 5 % und steigt bei älteren Patienten auf 15 % oder höher an. Da die Valvuloplastie aufgrund der Restenosen eine Lösung für nur wenige Monate ist und sie mit einem hohen periprozeduralen Risiko behaftet ist, besteht die Indikation nur noch bei Hochrisikopatienten mit symptomatischer AS. Dies sind Patienten, die sich dringend einer großen Operation unterziehen müssen, oder Patienten, die hämodynamisch instabil sind und eine zeitliche Überbrückung zum Aortenklappenersatz benötigen. Als weitere Therapieoptionen stehen heute der transapikale und der transfemorale Aortenklappenersatz zur Verfügung. Diese beiden kathetergestützten Verfahren können bei Patienten mit hohem operativem Risiko (EuroSCORE > 20 %) zum Einsatz kommen. Die neuesten Daten zeigen bei Hochrisikopatienten ein gering besseres Outcome in den ersten 30 Tagen bei den kathetergestützten Verfahren. Die Symptomfreiheit und das Überleben sind aber nach einem Jahr beim interventionellen und operativen Vorgehen etwa gleich (ca. 26 %) (13).

Aortenklappeninsuffizienz (AI) Die aortoanuläre Ektasie und die bikuspide Aortenklappe sind die häufigste Genese der chronischen AI. Die rheumatoide und infektiöse Endokarditis oder das Marfan-Syndrom sind deutlich seltenere Ursachen. Durch die Volumenbelastung kommt es zu einer linksventrikulären Dilatation, erst diastolisch, dann systolisch, mit konsekutiver Linksherz- und dann Globalherzinsuffizienz. Die Patienten bleiben lange asymptomatisch. Dyspnoe ist erstes Symptom. Typisch ist ein leises, gießendes Sofort-Diastolikum mit p. m. im 3. ICR links parasternal. Mit zunehmender AI verschwindet der erste Herzton. Normalerweise wird dieser durch den Mitralklappenschluss zu Beginn der Systole erzeugt. Bei der schweren AI kommt es zu einem frühen Druckanstieg im linken Ventrikel und zu einem Klappenschluss, noch bevor die Systole beginnt. Der zweite Herzton wird durch den Schluss der Aortenklappe verursacht. Bei der AI fehlt der zweite Herzton in der Regel. Blutdruck und Puls weisen eine große Amplitude auf („Wasserhammerpuls“ pulsus celer et altus). Die Diagnose wird gesichert durch die transthorakale Echokardiographie. Die Aortographie im Rahmen der Linksherzkatheteruntersuchung liefert weitere Hinweise auf die Schwere der AI. Prognose und Entscheidung zur Operation Bei leichter- und mittelgradiger AI ist keine Therapie notwendig. Lediglich ein arterieller Hypertonus muss gut eingestellt werden. Eine jährliche Untersuchung und die echokardiographische Evaluation alle zwei Jahre scheinen ausreichende Intervalle zu sein. Patienten mit asymptomati-

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scher hochgradiger AI entwickeln, bei erhaltener linksventrikulärer Pumpfunktion, nur sehr unwahrscheinlich im nächsten Jahr Symptome, eine Herzinsuffizienz oder versterben. Eine halbjährliche Vorstellung beim Kardiologen sollte erfolgen. Bei grenzwertig erhaltener EF kann die Ergometrie die Symptomfreiheit objektivieren. Bei asymptomatischen Patienten ist bereits eine leichte Einschränkung der linksventrikulären Pumpfunktion eine Indikation zum Aortenklappenersatz. Ebenso ist eine endsystolische linksventrikuläre Dilatation auf 50 mm oder 25 mm/m² Körperoberfläche mit einer schlechten Prognose vergesellschaftet und eine OP-Indikation. Bei einem Aneurysma der Aorta ascendens als Ursache der AI wird die OP-Indikation vom Durchmesser der Aorta abhängig gemacht. Ab 55 mm ist die Operation unabhängig vom Grad der AI indiziert (2). Symptomatische Patienten mit einer akuten oder chronischen AI sollten einer Operation zugeführt werden. Art der Intervention Die ersten vielversprechenden Erfahrungen mit kathetergestützten Verfahren gibt es bei AI nach biologischem Aortenklappenersatz. Eine Zulassung für diese Indikation steht jedoch noch aus. Somit bleibt die AortenklappenersatzOperation mit den bekannten Ergebnissen. In einigen Zentren und unter bestimmten Kautelen besteht die Möglichkeit der rekonstruktiven Chirurgie.

Mitralklappenstenose (MS) Der häufigste Grund für eine Mitralklappenstenose ist die rheumatische Karditis. Die Segel der Mitralklappe verdicken und verkalken, die Kommissuren und Sehnenfäden verkleben. Ab einer Mitralklappenöffnungsfläche (MÖF) von 2,5 cm² (Norm 4–5 cm²) wird der Blutfluss vom linken Vorhof in den Ventrikel behindert, die linksventrikuläre Füllungszeit verlängert sich und der linksatriale Druck steigt an. Konsekutiv steigt auch der pulmonalarterielle Druck an. Die Patienten sind über Jahre asymptomatisch und beklagen zuerst unspezifische Symptome wie Leistungsknick und Schwäche. Bei Progress der Stenose kommt es zu einem eher tachykarden paroxysmalen oder permanenten Vorhofflimmern, Belastungsdyspnoe bis hin zum Lungenödem. Bei noch normaler Vorhofkontraktion ist ein frühdiastolisches tief-frequentes langgezogenes Decrescendogeräusch zu hören und direkt vor dem ersten Herzton ein präsystolisches Crescendogeräusch, als Ausdruck der aktiven Vorhofkontraktion. Dies ist am besten an der Herzspitze und in Linksseitenlage zu hören. Auskultatorisch imponiert weiterhin ein lauter erster Herzton. Der zweite Herzton ist normal. Direkt nach dem zweiten Herzton ist noch vor dem Diastolikum der Mitralöffnungston als hochfrequenter kurzer Ton zu hören. Je hochgradiger die MS wird, desto länger dauert die diastolische Füllung des lin-

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ken Ventrikels. Es resultiert ein Holodiastolikum. Die Diagnose wird durch die transthorakale Echokardiographie gesichert. Entscheidend zur weiteren Therapieplanung ist hier die transösophageale Echokardiographie, da sie eine gute Einschätzung der Verkalkung und die Darstellung möglicher Vorhofthromben erlaubt. Prognose und Entscheidung zur Intervention Während die 10-Jahres-Prognose für asymptomatische Patienten gut ist, droht symptomatischen Patienten eine rasche Beschwerdeprogredienz bis zur kardialen Dekompensation mit Lungenödem. Asymptomatische Patienten sollten einmal pro Jahr klinisch und echokardiographisch untersucht werden. Mit der Ergometrie können auch hier Symptome demaskiert werden. Asymptomatische Patienten mit hohem Risiko für thromboembolische Ereignisse sollten frühzeitig eine Therapie erhalten. Hierzu gehören Patienten mit embolischen Ereignissen in der Vorgeschichte oder spontanem Echokontrast im linken Vorhof sowie Patienten mit Vorhofflimmern. Ebenso einer Behandlung zugeführt werden sollten Patienten mit drohenden hämodynamischen Komplikationen, also bei pulmonaler Druckerhöhung auf über 50 mmHg, vor großen Operationen oder bei Schwangerschaftswunsch. Bei möglicher Valvuloplastie wird die Intervention mittlerweile sehr früh, also bei asymptomatischen Patienten mit nur mittelgradiger Stenose, entsprechend einer Klappenöffnungsfläche kleiner 1,5 cm² (oder 1 cm²/m²), erwogen (15). Nur wenn eine Valvuloplastie technisch nicht durchführbar ist, werden asymptomatische Patienten erst bei hochgradiger MS, also einer Klappenöffnungsfläche kleiner als 1 cm², operiert. Symptomatische Patienten sollten unabhängig von der hämodynamischen Beeinträchtigung interveniert werden. Art der Intervention Falls die Morphologie der stenosierten Klappe es zulässt, ist die Mitralklappenvalvuloplastie Therapie der Wahl. Die Komplikationsrate liegt unter einem Prozent. Am häufigsten sind ein Vorhofseptumdefekt und die Mitralklappeninsuffizienz zu befürchten. Bis zu 70 % der Patienten sind nach Valvuloplastie für 10–15 Jahre beschwerdefrei. Ist die Valvuloplastie aufgrund eines Vorhofthrombus, einer mittelgradigen Mitralklappeninsuffizienz, schwerer Verkalkung, begleitender KHK, Aorten- oder Trikuspidalklappenerkrankung nicht möglich oder sinnvoll, so kann alternativ eine chirurgische Kommissurotomie erfolgen. Als letzte Therapieoption besteht der Mitralklappenersatz.

Mitralklappeninsuffizienz (MI) Die Mitralklappeninsuffizienz ist nach der Aortenklappenstenose das zweithäufigste Klappenvitium. Die Gründe für eine Mitralklappeninsuffizienz sind degenerative Verände-


rungen der Klappe selbst, ischämische Veränderungen des linken Ventrikels oder des Klappenhalteapparates. Änderungen der Ventrikelgeometrie durch die dilatative Kardiomyopathie, ein Mitralklappenprolaps, rheumatisches Fieber oder kongenitale Ursachen sind ebenso mögliche ursächliche Faktoren. Durch den systolischen Blutfluss vom linken Ventrikel in den linken Vorhof steigt der Druck im linken Vorhof. Somit steigt auch der Druck in den Pulmonalarterien und die Vorlast des linken Ventrikels. Die Volumenbelastung führt zu einer Dilatation des linken Ventrikels und Vorhofes, konsekutiv kommt es durch Dilatation des Mitralklappenrings zu einer progredienten Insuffizienz. Die Dilatation des linken Vorhofes bedingt über kurz oder lang zunächst ein paroxysmales, dann ein permanentes Vorhofflimmern. Durch Leistungsknick und Belastungsdyspnoe werden die Patienten erstmals symptomatisch. Palpitationen können bei Mitralklappenprolaps vorkommen oder Ausdruck eines Vorhofflimmerns sein. Es resultiert zunächst eine Links- und anschließend auch eine Rechtsherzinsuffizienz. Zeichen der akuten oder dekompensierten MI ist das Lungenödem. Bei der Auskultation fällt ein hochfrequentes Holosystolikum auf. Das Punctum maximum des weichen Geräusches liegt über der Herzspitze und wird nach axillär fortgeleitet. Der erste Herzton ist meist sehr leise oder fehlt ganz. Der zweite Herzton ist durch eine verkürzte Systolendauer breit gespalten, da jetzt die Aortenklappe deutlich vor der Pulmonalklappe schließt. Die Diagnose wird durch die transthorakale Echokardiographie gesichert. Die transösophageale Echokardiographie liefert wichtige Informationen für eine mögliche Rekonstruktion oder um ein Katheter-Verfahren zu planen. Eine transthorakale Echokardiographie mit isometrischer Belastung („Handgrip-Echokardiographie“) kann eine in Ruhe nur geringe oder mittelgradige MI als dynamische und somit relevante MI demaskieren.

Position des MitraClip, blaue Fläche entspricht dem Insuffizienzjet

Prognose und Entscheidung zur Intervention Etwa ein Drittel der Patienten mit asymptomatischer hochgradiger MI haben unter konservativer Therapie in den ersten fünf Jahren kardiale Ereignisse (Tod, kardiale Dekompensation, Vorhofflimmern) (8). Patienten mit Chordafadenabriss werden unter Umständen durch Kompensationsmechanismen nach kurzer Zeit zunächst wieder asymptomatisch. Trotzdem ist die Prognose aufgrund der progredienten pulmonalen Hypertonie schlecht. Ebenso sind Symptome, hohes Alter, Schwere der MI, linksatriale und linksventrikuläre Dilatation, Vorhofflimmern, reduzierte EF und eine chronisch ischämische Genese mit einer schlechten Prognose vergesellschaftet (2). Die akute ischämisch bedingte hochgradige MI durch Papillarmuskelruptur hat eine sehr schlechte Prognose und bedarf einer sofortigen Therapie. Patienten mit mittelgradiger MI und erhaltener linksventrikulärer Pumpfunktion sollten in einem jährlichen Kontrollintervall untersucht und alle zwei Jahren mittels transthorakaler Echokardiographie reevaluiert werden. Bei grenzwertigen Befunden oder relevanten Veränderungen seit der letzten Untersuchung sollte das Kontrollintervall reduziert und der Patient zu einer sofortigen Wiedervorstellung bei Auftreten von Beschwerden angehalten werden. Patienten mit hochgradiger MI und erhaltener EF sollten etwa zweimal jährlich untersucht und einmal pro Jahr mittels transthorakaler Echokardiographie kontrolliert werden. Asymptomatische Patienten mit hochgradiger MI und hohem Operationsrisiko sollten zunächst konservativ behandelt und engmaschig kontrolliert werden (2). Das gilt umso mehr, wenn eine Mitralklappenrekonstruktion nicht möglich ist. Werden diese Patienten symptomatisch, sollte auch bei fehlenden Optionen zur Rekonstruktion die Operation angeboten werden, wenn keine schweren Komorbiditäten vorliegen. Asymptomatische Patienten mit hochgradiger MI und niedrigem Operationsrisiko ohne reduzierte EF, Vorhofflimmern oder pulmonale Hypertonie

Verbindung der Mitralsegel zur Reduktion der Insuffizienzfläche, Blick von atrial

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können einer Operation zugeführt werden. Voraussetzung hierfür ist, dass morphologisch eine Rekonstruktion der Mitralklappe möglich ist und die Expertise zur Rekonstruktion verfügbar ist. Andernfalls empfiehlt es sich, die Patienten im Intervall zu kontrollieren. Asymptomatische Patienten mit eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion sollten zur Operation vorgestellt werden, auch wenn keine Option zur Rekonstruktion besteht. Das gleiche gilt für Patienten mit erhaltener linksventrikulärer Pumpfunktion und pulmonaler Hypertonie oder Vorhofflimmern. Symptomatische Patienten sollten zur Intervention vorgestellt werden. Ausnahmen sind Patienten mit hochgradig reduzierter EF, ausgeprägter Komorbidität und fehlenden Optionen zur Mitralklappenrekonstruktion. Es sollte nicht vergessen werden, dass eine dynamische MI in Ruhe als nur mittelgradig imponieren kann. Eine Handgrip-Echokardiographie kann eine hochgradige MI demaskieren. Hierbei führt man eine isometrische Belastung durch, indem der Patient mit beiden Händen z. B. zwei Bälle zusammendrückt. Da eine MI von der Nachlast abhängig ist, aggraviert die isometrische Belastung eine dynamische MI. Bei Patienten, die zur koronaren Bypasschirurgie (ACVB-OP) vorgestellt werden, sollte eine mittelgradige MI intraoperativ nur gleichzeitig korrigiert werden, wenn eine Rekonstruktion möglich ist. Eine hochgradige MI sollte immer im Rahmen einer ACVB-OP operiert werden. Art der Intervention Die Mitralklappenrekonstruktion ist, wenn immer möglich, dem Mitralklappenersatz vorzuziehen. Die perioperative Mortalität ist geringer und Langzeitmorbidität und Überlebenszeit sind besser. Ganz entscheidend für die Überlegenheit der Rekonstruktion ist hier aber die Erfahrung des Operateurs. Ist eine Mitralklappenrekonstruktion nicht möglich, so ist der Mitralklappenersatz die Therapie der Wahl. Für Hochrisikopatienten besteht in einigen Zentren die Möglichkeit zweier verschiedener kathetergestützter Verfahren: das Mitralklappen-Clipping und die transvenöse Mitralklappenanuloplastie. Beide Verfahren befinden sich noch in klinischer Erprobung (9, 10).

Trikuspidalklappenstenose (TS) Die sehr seltene Trikuspidalklappenstenose ist meist rheumatisch bedingt. Das Karziniod-Syndrom und die LöfflerEndokarditis sowie große bakterielle Vegetationen sind weitere Ursachen. Ab einem mittleren Druckgradienten von 5 mmHg erlangt die TS klinische Relevanz und führt meist über eine Steigerung des venösen Drucks zu hepatischen Schäden. Es kommt zu einer rechtsatrialen Dilatation und durch die oft vergesellschaftete Mitralklappenstenose zu einer pulmonalen Druckerhöhung, die eine rechtsventrikuläre Dilatation verursacht. Somit ist eine TS

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fast immer mit einer Trikuspidalklappeninsuffizienz gemeinsam zu finden. Die Symptomatik ist daher oft durch die Symptomatik des führenden Klappenvitiums maskiert. Die Symptome resultieren aus der venösen Stauung. Es imponieren Aszites und Ödeme. Der Auskultationsbefund ist von den begleitenden Vitien (oft MS und AS) geprägt. Prinzipiell ist der Auskultationsbefund der reinen TS der gleiche wie bei der MS. Charakteristisch ist jedoch, wie bei allen rechtsseitigen Vitien, seine ausgeprägte atemabhängige Lautstärke. So nimmt die Lautstärke des Diastolikums mit der Inspiration zu, wird zum Teil dann erst hörbar, und nimmt mit der Exspiration ab oder das Geräusch verschwindet ganz (6). Die Diagnose wird durch die transthorakale Echokardiographie mit Doppler gesichert. Die transösophageale 3D-Echokardiographie kann die planimetrische Messung ermöglichen. Prognose und Entscheidung zur Intervention Die Prognose ist wahrscheinlich bestimmt von den begleitenden Klappenvitien bzw. von der konsekutiven Hepatopathie. Daten hierzu fehlen. Patienten mit hochgradiger TS werden interveniert, wenn zeitgleich eine Intervention an Aorten- oder Mitralklappe durchgeführt wird oder die Symptome medikamentös nicht beherrschbar sind. Art der Intervention Bei Patienten mit einer isolierten TS kann initial eine Trikuspidalklappenvalvuloplastie erwogen werden. Ist dies erfolglos, entsteht eine Trikuspidalklappeninsuffizienz oder bestehen begleitende Vitien, so stehen Optionen der Rekonstruktion und des Ersatzes zur Verfügung. Der Ersatz sollte jedoch aufgrund eines hohen thromboembolischen Risikos möglichst vermieden werden (16).

Trikuspidalklappeninsuffizienz (TI) Über der Trikuspidalklappe gibt es physiologisch während der Systole einen geringen Reflux. Meist ist die relevante TI nicht durch primäre Klappenerkrankungen bedingt, sondern sekundär bei pulmonaler Hypertonie jeglicher Genese, dilatativer Kardiomyopathie oder ischämischer Erkrankung des rechten Herzens. Eine Schrittmacher-Sonde oder ein zentraler Venenkatheter verursachen meist eine nur geringe TI. Seltene primäre Klappenerkrankungen sind die infektiöse oder rheumatoide Endokarditis, die Ebstein-Anomalie und der Trikuspidalklappenprolaps. Ebenso sind das Karzinoid-Syndrom, die Löffler-Endokarditis oder Traumata als Ursache denkbar (11). Durch die venöse Druckerhöhung kommt es zur Hepatopathie mit Aszites und Ödemen. Der Auskultationsbefund ist vom Charakter sehr ähnlich der Mitralklappeninsuffizienz, wenn auch fast nicht hörbar. Sicherstes Unterscheidungsmerkmal ist hier die Auskultation des Systolikums bei In- und Exspiration. In In-


spiration wird das Geräusch lauter, in Exspiration leiser (Carvallo-Zeichen). Die Diagnose wird durch die transthorakale Echokardiographie gesichert. Prognose und Entscheidung zur Operation Die Prognose der TI ist wahrscheinlich abhängig von der Grunderkrankung und der konsekutiven Hepatopathie. Daten hierzu fehlen. Asymptomatische Patienten mit hochgradiger TI und progredienter rechtsventrikulärer Dilatation oder Verschlechterung der rechtsventrikulären Pumpfunktion können zur Operation vorgestellt werden. Ebenso sollten symptomatische Patienten mit primärer oder sekundärer hochgradiger TI ohne schwere rechtsventrikuläre Dysfunktion operiert werden. Falls eine pulmonale Hypertonie und linksventrikuläre Dysfunktion (systolisch und diastolisch) ausgeschlossen werden können, ist sogar nach Mitral- oder Aortenklappen-Operation ein Zweiteingriff zu erwägen. Bei Patienten mit Indikation zur Mitral- oder Aortenklappen-Operation sollte bereits die mittelgradige TI zeitgleich operiert werden, falls es sich um eine primäre TI handelt oder der Klappenring auf über 40 mm dilatiert ist. Art der Operation Rekonstruierende Techniken der Anuloplastie mittels Ring sind den Techniken der Rekonstruktion mit Naht oder dem Trikuspidalklappenersatz bezüglich OP-Risiko und Morbidität deutlich überlegen.

Pulmonalklappenstenose (PS) Die Pulmonalklappenstenose ist fast immer kongenital durch fehlgebildete oder fusionierte Klappensegel. Selten ist sie Folge eines rheumatischen Fiebers oder KarzinoidSyndroms. Aufgrund der verlängerten rechtsventrikulären Austreibungszeit sinkt das Herzminutenvolumen. Es resultieren Dyspnoe und Müdigkeit. Selten kommt es zu Schwindel und Synkope, ein plötzlicher Herztod ist sehr selten. Auskultatorisch findet man ein Systolikum mit den gleichen Charakteristika wie bei der Aortenklappenstenose. Das Geräusch ist aber wesentlich lauter und zum Teil schon auf Distanz zu hören und als Schwirren zu tasten. Das Punctum maximum liegt im 2. ICR links parasternal.

Der erste Herzton ist normal. Kurz darauf folgt der Pulmonalklappenöffnungston oder auch „ejection click“. Der zweite Herzton ist breit gespalten. Die Diagnose wird durch die transthorakale Echokardiographie gesichert. Prognose und Entscheidung zur Intervention Fast alle Patienten mit einem Spitzengradienten von unter 25 mmHg bleiben über 25 Jahre asymptomatisch (12). Asymptomatische Patienten mit einem Spitzengradienten über 50 mmHg sollten zur Intervention vorgestellt werden, symptomatische Patienten schon ab einem mittleren Gradienten von über 25 mmHg. Dies gilt umso mehr, wenn eine rechtsventrikuläre Dilatation vorliegt. Art der Intervention Pulmonalklappenstenosen lassen sich fast immer mittels Valvuloplastie behandeln. Lediglich sub- oder supravalvuläre Stenosen sowie dysplastische Klappen müssen operiert werden.

Pulmonalklappeninsuffizienz (PI) Eine geringe PI ist physiologisch bei fast allen Herzgesunden nachzuweisen. Eine relevante PI entsteht auf dem Boden einer pulmonalen Hypertonie. Weitere Ursachen sind Ringdilatation, kongenitale Veränderungen, infektiöse Endokarditis, das Karzinoid-Syndrom sowie Zustand nach chirurgischer Korrektur einer Fallot-Tetralogie oder nach Valvuloplastie. Klinisch wird auch die hochgradige PI lange toleriert, bis Dyspnoe und Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz auftreten. Bei der Auskultation ist ein Diastolikum links parasternal zu hören. Die Diagnose wird durch die transthorakale Echokardiographie gesichert. Prognose und Entscheidung zur Operation Die Prognose ist wahrscheinlich abhängig von der Grunderkrankung und der konsekutiven Hepatopathie. Symptomatische Patienten mit progredienter rechtsventrikulärer Dilatation sollten operiert werden. Art der Operation Als operative Therapie steht der Pulmonalklappenersatz zur Verfügung.

Schlussbemerkung Es soll nochmals darauf hingewiesen werden, dass Daten zum Spontanverlauf der meisten Vitien entweder sehr alt sind oder fehlen. Demnach sind, mit Ausnahme einiger Patientengruppen mit symptomatischem Vitium, alle Empfehlungen lediglich die aktuelle Expertenmeinung. Daten aus großen randomisierten Studien oder Meta-Analysen über die Effektivität der Intervention oder Operation gibt es zu keinem Vitium. Allen Vitien ist gemein, dass, sobald eine Symptomatik auftritt, die Vorstellung beim interventionellen Kardiologen oder operierenden Zentrum erfolgen sollte. Des Weiteren soll darauf hingewiesen werden, dass nach aktuellen Leitlinien die Endokarditisprophylaxe nur wenigen Risikopatienten bei bestimmten Eingriffen vorbehalten ist und bei Vitien nativer Klappen nicht mehr indiziert ist. Ausnahme hiervon sind Patienten nach durchgemachter Endokarditis.

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Übersicht Intervention bei Aortenklappenstenose Dringend empfohlen:

symptomatische Patienten mit hochgradiger AS

Empfohlen:

asymptomatische Patienten mit hochgradiger AS und reduzierter EF asymptomatische Patienten mit hochgradiger AS und mittel- bis höhergradig verkalkter Klappe und schnellem Progress ( > 0,3 m/s/Jahr) asymptomatische Patienten mit hochgradiger AS mit Auftreten von Symptomen im Belastungstest (AP, Dyspnoe)

Kann erwogen werden:

asymptomatische Patienten mit hochgradiger AS und pathologischem Belastungstest ohne Auftreten von Symptomen (path. RR-Verhalten, EKG-Veränderungen oder ventrikulären Rhythmusstörungen) Nachweis von ventrikulären Salven/Tachykardien Operation bei Aortenklappeninsuffizienz

Dringend empfohlen:

symptomatische Patienten mit hochgradiger AI (Dyspnoe, Angina) asymptomatische Patienten mit hochgradiger AI und einer EF < 50 % Patienten mit hochgradiger AI und gleichzeitiger OP-Indikation zur ACVB-OP, Aortenwurzelersatz oder einer anderen Herzklappe Patienten mit jeglicher AI, Marfan-Syndrom und einem Aortenwurzeldurchmesser von über 45 mm

Empfohlen:

Patienten mit hochgradiger AI, erhaltener EF und linksventrikulärer systolischer Dilatation auf über 50 mm bzw. 25 mm/m² Körperoberfläche Patienten mit jeglicher AI, bikuspider Aortenklappe und einem Aortenwurzeldurchmesser über 50 mm Patienten mit jeglicher AI und einem Aortenwurzeldurchmesser über 55 mm Intervention bei Mitralklappenstenose Valvuloplastie

Voraussetzung:

geeignete Klappenmorphologie, höchstens geringe Mitralklappeninsuffizienz, keine linksatrialen Thromben, keine weitere kardiale OP-Indikation

Dringend empfohlen:

symptomatische Patienten mit mindestens mittelgradiger MS (MÖF < 1,5 cm²)

Empfohlen:

asymptomatische Patienten mit mindestens mittelgradiger MS (MÖF < 1,5 cm²) und pulmonalarterieller Hypertonie, Z. n. embolischem Ereignis, spontanem Echokontrast im linken Vorhof, Vorhofflimmern, vor großen Operationen oder Schwangerschaft Operation (Kommissurotomie oder Klappenersatz)

Voraussetzung:

Kontraindikationen zur Valvuloplastie

Dringend empfohlen:

erheblich symptomatische Patienten (NYHA III–IV) mit einer MÖF < 1,5 cm² asymptomatische oder gering symptomatische Patienten mit einer MÖF < 1 cm² Intervention bei Mitralklappeninsuffizienz Operation

Dringend empfohlen:

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symptomatische Patienten mit hochgradiger MI (Ausnahmen siehe unten) asymptomatische Patienten mit hochgradiger MI und reduzierter EF Patienten mit hochgradiger MI und mindestens mittelgradig erhaltener EF und gleichzeitiger Indikation zur ACVB-OP

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Übersicht (Fortsetzung)

Empfohlen:

symptomatische Patienten mit hochgradiger MI und hochgradig reduzierter EF, aber ohne Komorbiditäten und guter Option einer Mitralklappenrekonstruktion symptomatische Patienten mit hochgradiger ischämischer MI, mindestens mittelgradig erhaltener EF und Optionen zur Revaskularisation asymptomatische Patienten mit hochgradiger MI, erhaltener EF und pulmonalarterieller Hypertonie oder (paroxysmalem) Vorhofflimmern Patienten mit mittelgradiger MI, Indikation zur ACVB-OP und guter Option der Mitralklappenrekonstruktion

Kann erwogen werden:

symptomatische Patienten mit hochgradiger MI und hochgradig reduzierter EF, ohne Option zur Mitralklappenrekonstruktion und mit nur geringer Komorbidität asymptomatische Patienten mit hochgradiger MI mit erhaltener EF, geringem OP-Risiko und guter Option zur Mitralklappenrekonstruktion Patienten mit hochgradiger ischämischer MI, erhaltener EF, aber fehlender Option zur Revaskularisation bei nur geringer Komorbidität Kathetergestützte Verfahren

Voraussetzung:

Hochrisiko-Patienten im Rahmen von klinischen Studien Intervention bei Trikuspidalklappenstenose

Empfohlen:

symptomatische Patienten mit hochgradiger TS trotz optimaler konservativer Therapie Patienten mit hochgradiger TS und gleichzeitiger Intervention an der Aorten- oder Mitralklappe Operation bei Trikuspidalklappeninsuffizienz

Dringend empfohlen:

symptomatische Patienten mit hochgradiger TI und erhaltener rechtsventrikulärer Funktion Patienten mit hochgradiger TI und Indikation zur Mitral- oder Aortenklappen-Operation

Empfohlen:

symptomatische Patienten mit hochgradiger TI nach vorheriger Mitral- oder Aortenklappen-Operation und ohne rechts- oder linksventrikuläre Dysfunktion, pulmonale Hypertonie oder relevantes Vitium an Mitral- oder Aortenklappe Patienten mit primärer mittelgradiger TI und Indikation zur Mitral- oder AortenklappenOperation Patienten mit mittelgradiger TI, dilatiertem Klappenring und Indikation zur Mitral- oder Aortenklappen-Operation

Kann erwogen werden:

asymptomatische Patienten mit hochgradiger TI und progredienter Dilatation oder Verschlechterung der rechtsventrikulären Pumpfunktion Intervention bei Pulmonalklappenstenose

Dringend empfohlen:

symptomatische Patienten mit mittelgradiger PS ab einem mittleren Gradienten über 25 mmHg, besonders bei rechtsventrikulärer Dilatation

Empfohlen:

asymptomatische Patienten mit einem Spitzengradienten über 50 mmHg Operation bei Pulmonalklappeninsuffizienz

Empfohlen:

symptomatische Patienten mit progredienter rechtsventrikulärer Dilatation

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Minimalinvasive Mitralklappenrekonstruktion Markus Czesla, Timo Weimar, Ulrike Walle, Julia Götte, Nicolas Doll

I

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Nicolas Doll Sana Herzchirurgie Stuttgart Herdweg 2 70174 Stuttgart Tel.: 0711 27836000 Fax: 0711 27836009 n.doll@sana-herzchirurgie.de www.sana-herzchirurgie.de

n den letzten 15 Jahren hat sich die minimalinvasive Herzchirurgie rapide von einem experimentellen Stadium zu einer routinemäßigen endoskopischen bzw. videoassistierten Prozedur entwickelt. Die Vorteile der „Schlüssellochoperationen“ kamen Mitte der Neunzigerjahre voll zum Tragen (1–4). Chirurgen auf der ganzen Welt haben gelernt, mittels minimalinvasiver Techniken zu operieren und dabei exzellente Ergebnisse mit hoher Sicherheit für die Patienten zu erzielen (4, 5). Heutzutage wird eine anterolaterale Minithorakotomie als Zugang für verschiedene Eingriffe genutzt. Eine komplexe Klappenrekonstruktion stellt mit Gewissheit eine höhere Herausforderung dar als ein normaler Klappenersatz. Aber auch Begleiteingriffe wie Trikuspidalklappenrekonstruktion, Verschluss eines PFO, des linken Vorhofohres und die Rhythmuschirurgie sind einfach durchführbar. Zieht man in Betracht, dass mehr und mehr Patienten einen Zweiteingriff nach medianer Sternotomie benötigen, hat sich der minimalinvasive Zugang in erfahrenen Händen aufgrund weniger Blutungskomplikationen und geringerer Mortalität als sinnvolle Alternative etabliert (6). In einigen wenigen Fällen können schwere Verwachsungen der Lunge mit der Thoraxwand und/oder dem Mediasti-

num einen minimalinvasiven Zugang unmöglich machen. Auch bei rechtsseitig voroperierten Patienten sollte eine mediane Sternotomie erfolgen, da das Risiko von Lungenverletzungen die Vorteile des kleinen Zuganges aufwiegt. In der Geschichte der Mitralklappenchirurgie können wir, wie es scheint, auf Jahrzehnte des Klappenersatzes zurückblicken. Viele Patienten wurden mit mechanischen Klappenprothesen ausgestattet, was wiederum eine lebenslange Antikoagulation notwendig machte. Damit gehen eine Einschränkung der Lebensqualität mit regelmäßigen Blutuntersuchungen sowie die Gefahr von thromboembolischen Komplikationen einher (7). Über einen langen Zeitraum war für Patienten mit degenerativen Klappenerkrankungen ein sofortiger Klappenersatz die Therapie der Wahl. Glücklicherweise haben Chirurgen inzwischen gelernt, ihre Patienten besser zu behandeln. Betrachtet man die Entwicklung der Rekonstruktionsraten in Deutschland, kann man feststellen, dass sich der Anteil an rekonstruktiven Eingriffen mittlerweile auf 65 % erhöht hat (8) (Diagramm 1). Vor fünf Jahren wurden minimalinvasive Operationen der Mitralklappe gerade einmal an 20 deutschen Herzzentren durchgeführt. Inzwischen ist der Anteil auf 55 Kliniken mit einer Rekonstruktionsrate von

70% 60%

Anteil Rekonstruktion Mortalität

52,0%

56,0%

57,5%

59,6%

64,3%

64,4%

30%

52,8%

40%

47,2%

50%

03

04

05

06

07

08

09

10

26,3%

31,7%

30,7%

34,8%

37,6%

40,2%

43,8%

23,2%

10%

20,8%

20%

96

97

98

99

00

01

02

0% 94

95

Diagramm 1: Anteil der Klappenrekonstruktionen in der isolierten Mitralchirugie in Deutschland 1994–2010

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100% 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010

90% 80% 70%

n=hospitals Proportion minimally invasive

15

20

21

31

38

40

55

13

11,7

13,1

17,3

25,2

33,6

38,6

60% 50% 40% 30% 20% 10%

Diagramm 2: Anteil minimalinvasiver Eingriffe in der isolierten Mitralchirugie in Deutschland

0% fast 40 % angewachsen (Diagramm 2). Die aktuellen Guidelines der kardiologischen Gesellschaften bestätigen, dass die Mitralklappenrekonstruktion die Methode der Wahl darstellt. In erfahrenen Zentren liegt die Rekonstruktionsrate von Patienten mit Mitralklappeninsuffizienz bei über 85 %. Die Wahrscheinlichkeit eines Klappenersatzes wird durch Faktoren wie sklerosierte Segel und/oder sklerosierter Anulus, eine komplexe Klappenpathologie sowie das Alter des Patienten erhöht.

Rekonstruktionstechniken Die rekonstruktive Mitralklappenchirurgie hat zum Ziel: • eine Wiederherstellung der physiologischen Segelbewegung, • eine suffiziente Koaptation • unter Erhalt der effektiven Klappenöffnungsfläche • sowie die Stabilisierung des Anulus (9) • ein Verzicht auf Langzeitantikoagulation. Viele verschiedene Rekonstruktionstechniken können über den minimalinvasiven Zugang angewandt werden. In der Vergangenheit war die häufigste Technik zur Korrektur einer myxomatösen Segelerkrankung die trianguläre oder quadranguläre Resektion, wie sie von Carpentier 1983 eingeführt wurde (10). Zusätzlich wurde nach Resektion von Segelgewebe häufig eine „Slidingplastik“ des hinteren Segels vorgenommen, um eine Höhenreduktion zu erzielen und

damit einem SAM-Phänomen vorzubeugen. All diese Techniken führten zu guten Ergebnissen mit einer langen Freiheitsrate von Reoperationen. Dennoch ist nach Resektion von Segelgewebe eine Änderung der anatomischen und physiologischen Klappenfunktion zu beobachten, insbesondere eine erhöhte Steifigkeit und Restriktion in der Segelbewegung sowie eine limitierte Koaptation mit dem anterioren Segel. So hat sich das Konzept einer Gewebe erhaltenden Operationstechnik mittels künstlicher Sehnenfäden (PTFE) in erheblichem Maße durchgesetzt (11). Dahinter verbergen sich mehrere Prinzipien der rekonstruktiven Chirurgie: • Erzielen der größtmöglichen Klappenöffnungsfläche und • maximaler Segelkoaptation, • Erhalt der Kontinuität zwischen Anulus, Klappenhalteapparat und Ventrikel sowie • Minimierung der Segelspannung (12). Die Nutzung von vorgefertigten PTFENähten in Form von Schlaufen (Loops) ist eine Weiterentwicklung der schon länger angewandten Technik zur Behandlung von Prolapserkrankungen des anterioren Mitralsegels (13). Diese „Looptechnik“ nutzt vorgemessene GORE-TEX®-Fäden, um den Abstand zwischen Papillarmuskel und Segelrand neu zu definieren. Viele Arbeitsgruppen können exzellente Ergebnisse mit einer Freiheitsrate von Reoperationen > 90 % nach zehn Jahren vorweisen.

Die Literaturliste finden Sie im Internet unter www.kardioforum.com

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Vorgehen bei der Operation

Abb. 1: Kanülierung der Leistengefäße zum Anschluss an die Herz-LungenMaschine

Abb. 2a: Zugang über den 5. Interkostalraum rechts-anterolateral

Abb. 2b: Minithorakotomie

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Bei der minimalinvasiven Mitralchirurgie ist ein Anschluss der Herz-Lungen-Maschine meist unumgänglich und erfolgt nach einem kleinen Schnitt (2–3 cm) über die Leistengefäße (Abb. 1). Nach radiologischer Abklärung der anatomischen Verhältnisse wird eine ca. 5 cm messende Thorakotomie in der vorderen Axillarlinie durchgeführt. Bei Patientinnen geschieht dies aus kosmetischen Gründen meist in der Submammärfalte (Abb. 2a). Nach Applikation eines Weichteilsperrers wird ein kleiner Rippenspreizer eingesetzt (Abb. 2b). Oberhalb der Brust wird ein 5 mm-Kameraport platziert, über den ein Videoskop das intraoperative Bild in HD-Qualität an einen 16:9-Monitor überträgt (Abb. 3). Als Fixierung für die Kamera dient ein pneumatischer, für das linke Vorhofdach ein mechanischer Haltearm (Abb. 4). Die Abklemmung der Aorta erfolgt mit Hilfe einer langen Klemme (Chitwoodclamp), so dass nachfolgend kardioplegische Lösung appliziert werden kann. Nach Eröffnung des linken Vorhofs wird eine Einschätzung der Klappenmorphologie vorgenommen und die weitere Strategie zur Klappenrekonstruktion festgelegt. Jede Mitralklappenrekonstruktion sollte mit der Implantation eines Klappenringes abgeschlossen werden. Heutzutage steht den Chirurgen eine breite Palette unterschiedlicher Produkte zur Verfügung (Abb. 5). Neben dem optimalen „Sizing“ des Anulus ist die Auswahl eines geeigneten Anuloplastieringes unter Berücksichtigung der zugrundeliegenden Pathologie von Bedeutung. In den letzten Jahren wurden adjustierbare Klappenringe entwickelt, welche eine intraoperative „Feinjustierung“ der Ringgröße und damit der Segelkoaptation erlauben. Bei etwa 25 % aller Mitralklappenpatienten handelt es sich nicht um eine degenerativ bedingte Insuffizienz (Prolapssyndrom), sondern meist um eine ischämische bzw. funktionelle Genese. Bei diesen Patienten ist eine wiederkehrende Undichtigkeit sehr häufig, so dass ein risikoreicher Zweiteingriff meist die einzige Alternative darstellt. In diesem Jahr wurden erstmals Anuloplastieringe mit einer permanenten Elektrode implantiert, die eine Nachjustierung (Verringerung des anteriorposterioren Diameters) nach Monaten bzw. sogar Jahren ermöglicht. Bei einer Patientin bestand drei Monate nach operativer Revaskularisation und Mitralklappenrekonstruktion eine Pro-


Abb. 3: Setup für einen minimalinvasiven Zugang mit Videoskop Die Pfeile zeigen: 1 – HD-Kamera, 2 – Videoskop, 3 – Rippenretraktor, 4 – Vorhofdachhalter, 5 – 16:9-HD-Monitor

gression der Undichtigkeit an der Mitralklappe, so dass eine Spätadjustierung des Anuloplastieringes vorgenommen wurde. Nach dem kurzen Eingriff war eine deutliche Verbesserung der klinischen Symptomatik zu verzeichnen. Abbildung 6 zeigt den Anuloplastiering vor und nach der Aktivierung mit Hochfrequenzenergie (der anterior-posteriore Diameter hat sich um ca. 3 mm verringert ohne Einschränkung der effektiven Klappenöffnungsfläche). Auch im Bereich der Mitralklappe wird intensiv an kathetergestützten Ersatz- bzw. Rekonstruktionsverfahren gearbeitet. So sind derzeit transapikale und auch transfemorale Ansätze in der experimentellen Erprobung. Jedoch konnte keines dieser Verfahren bis zur klinischen Anwendung optimiert werden. Die minimalinvasive Mitralklappenrekonstruktion ist die physiologischste und zuverlässigste Strategie zur Behandlung der Mitralinsuffizienz und hat bei einem Großteil der degenerativen Erkrankungen

Abb. 4: Mechanischer und pneumatischer Haltearm

Abb. 5: Auswahl an Anuloplastieringen

einen kurativen Ansatz. Eine Entscheidung über die optimale Versorgung von Mitralklappenpatienten sollte idealerweise auch in Zukunft interdisziplinär im Team erfolgen.

Abb. 6: Anuloplastiering vor und nach Spätaktivierung

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Katheterunterstützte Rekonstruktion der Mitralklappe Markus Füller1, Theodor Rampp1, Erich Kilger2, Calin Vicol3, Michael Block1

N Korrespondenzadresse: Dr. med. Markus Füller Fachbereich Kardiologie Klinik Augustinum München Wolkerweg 16 81375 München Tel.: 089 7097-0 fueller@med.augustinum.de www.augustinum-kliniken.de 1) Kardiologie der Klinik Augustinum München 2) Klinik für Anästhesiologie der Ludwig-Maximilians-Universität München 3) Klinik und Poliklinik für Herzchirurgie der Ludwig-MaximiliansUniversität München

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ach der Aortenklappenstenose stellt die Mitralklappeninsuffizienz den zweithäufigsten Herzklappenfehler in Europa dar (1). Bei der Ätiologie der Mitralinsuffizienz lassen sich zwei verschiedene Entitäten unterscheiden: Bei der strukturellen Mitralklappeninsuffizienz handelt es sich um eine primäre Erkrankung des Mitralklappenapparates mit zunächst normaler Funktion des linken Ventrikels. Unter dem Mitralklappenapparat versteht man die funktionelle Einheit von Mitralklappensegeln, Chordae tendineae, Papillarmuskeln und Mitralklappenanulus. Eine strukturelle Veränderung jedes dieser Bestandteile des Mitralklappenapparates kann zum Auftreten einer Mitralklappeninsuffizienz führen. Häufige Ursachen einer strukturellen Mitralklappeninsuffizienz sind ein Prolaps eines oder beider Mitralsegel, eine infektiöse Endokarditis oder ein degenerativ oder entzündlich bedingter Sehnenfadenabriss. Im Gegensatz dazu liegt bei der funktionellen Mitralklappeninsuffizienz primär eine Erkrankung des linken Ventrikels bei strukturell weitgehend unauffälligem Mitralklappenapparat vor (2, 3, 4). Die funktionelle Mitralklappeninsuffizienz ist meist Folge einer ischämischen oder dilatativen Kardiomyopathie. Die Kardiomyopathie führt zu einer Vergrößerung des linksventrikulären Durchmessers und zu einer Veränderung der Ventrikelgeometrie von einer ellipsoiden zu einer kugeligen Form und bedingt damit eine Dilatation des Mitralklappenanulus. Zudem kommt es durch die veränderte Ventrikelgeometrie zu einer Verlagerung der Ansätze der beiden Papillarmuskel nach apikal und posterior. Dadurch erhöht sich die Zugspannung (tethering force), welche über die Chordae tendineae auf die Mitralsegel übertragen wird. Dies hat

eine Einschränkung der Beweglichkeit (Restriktion) der Mitralsegel und eine Verkürzung und Verlagerung der Koaptationszone der beiden Mitralsegel zur Ventrikelspitze hin zur Folge. Als weiterer pathogenetischer Faktor der funktionellen Mitralklappeninsuffizienz ist die linksventrikuläre Pumpfunktion, welche als „closing force“ gleichsam die Mitralsegel in der Systole in ihre Schlussposition drückt, infolge der zugrunde liegenden Kardiomyopathie reduziert (Abb. 1). Das Auftreten einer funktionellen Mitralklappeninsuffizienz ist eine relativ häufige Komplikation einer dilatativen oder ischämischen Kardiomyopathie: Etwa 30 % aller Patienten nach einem Myokardinfarkt und etwa 50 % aller Patienten mit einer dilatativen Kardiomyopathie entwickeln im Verlauf ihrer Erkrankung eine funktionelle Mitralklappeninsuffizienz (5). Der Nachweis einer funktionellen Mitralklappeninsuffizienz ist hierbei mit einer deutlich schlechteren Prognose assoziiert (6).

Kathetergestützte Rekonstruktion der Mitralklappe Der Nutzen einer herzchirurgischen Mitralklappenrekonstruktion oder eines Mitralklappenersatzes zur Therapie einer fortgeschrittenen strukturellen Mitralklappeninsuffizienz ist klar belegt. Im Gegensatz dazu ist der Stellenwert einer operativen Therapie bei funktioneller Mitralklappeninsuffizienz aufgrund der widersprüchlichen Studienlage nach wie vor Gegenstand der Diskussion. Aus diesem Grund empfiehlt die aktuelle Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie eine operative Therapie bei einer funktionellen Mitralklappeninsuffizienz infolge einer ischämischen Kardiomyopathie nur bei einem Kombinationseingriff mit zu-


Abb. 1: Pathogenese der strukturellen Mitralklappeninsuffizienz. Abbildungen modifiziert nach Liel-Cohen (19).

gleich geplanter aortokoronarer Bypassoperation oder bei Vorliegen einer schweren, medikamentös therapierefraktären Mitralklappeninsuffizienz und geringer Komorbidität (7). Bei Patienten mit einer höhergradigen Mitralklappeninsuffizienz liegen jedoch häufig schwerwiegende Begleiterkrankungen wie linksventrikuläre Dysfunktion, Niereninsuffizienz oder chronischobstruktive Lungenerkrankung vor, die das Operationsrisiko deutlich erhöhen. In den vergangenen Jahren wurden deswegen neben endoskopischen chirurgischen Techniken neue, weniger belastende katheterbasierte Techniken zur perkutanen Mitralklappenrekonstruktion entwickelt. Grundsätzlich sind diese neuen katheterbasierten Verfahren aber Patienten vorbehalten, die ein deutlich erhöhtes Operationsrisiko aufweisen. Zur perkutanen Therapie der Mitralklappeninsuffizienz werden derzeit zwei unterschiedliche Ansätze verfolgt: Ziel der Mitralklappenanuloplastie ist es, die Länge des dilatierten Mitralklappenrings im posterioren Anteil des Anulus zu verkürzen und damit eine Verlagerung des posterioren Mitralsegels in Richtung auf das anteriore Segel hin zu erreichen.

Die Systeme zur indirekten Mitralklappenanuloplastie machen sich den Umstand zunutze, dass der Koronarvenensinus in den meisten Fällen auf gleicher Höhe zu und unmittelbar dorsal der posterioren Anteile des Mitralklappenanulus verläuft. Durch in den Koronarsinus eingesetzte Verankerungsstents, welche über ein in seiner Länge variierbares Zugelement verbunden sind, wird der posteriore Anteil des Mitralanulus gerafft. Problem derartiger Anuloplastiesysteme ist, dass sie im Gegensatz zu einem chirurgischen Anuloplastiering den Mitralklappenanulus nur partiell umfassen. Zudem zeigten die bisher publizierten Studien für diese Verfahren auch, dass eine erfolgreiche Implantation der Systeme nur bei 60 bis 80 % der Patienten möglich war und lediglich bei 50 bis 80 % der Patienten eine Abnahme des Schweregrads der Mitralklappeninsuffizienz zu beobachten war. Weiterhin wurde bei bis zu 20 % der Studienpatienten eine Kompression des R. circumflexus der linken Koronararterie an der Überkreuzung mit dem Koronarsinus beobachtet. Des Weiteren traten relativ häufig Frakturen bzw. Dislokationen der Verankerungsstents auf (8, 9, 10). Beim zweiten Ansatz, der so genannten „Edge-to-edge-Technik“, werden,

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A

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Abb. 2: (A) „Fassen“ der Mitralsegel beim Zurückziehen des MitraClip-Systems vom linken Ventrikel zur Mitralklappe. (B) Bildung von zwei Neo-Ostien in der Mitralklappe nach Fixierung von anteriorem und posteriorem Mitralsegel in der Ansicht vom Vorhof aus. (C) Geschlossener MitraClip nach Entfernung des Einführsystems. Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Firma Abbott.

ähnlich der chirurgischen Alfieri-Technik, das posteriore und anteriore Mitralklappensegel mit einem Metallclip miteinander verbunden. Der MitraClip der Firma Abbott ist bisher das einzige perkutane System zur Behandlung der Mitralklappeninsuffizienz, das über das experimentelle Stadium hinaus in die klinische Anwendung gekommen ist. Weltweit wurden bereits über 2000 Patienten mit dem MitraClip-System behandelt.

Der MitraClip wird über einen Zugang in der rechten V. femoralis communis nach transseptaler Punktion der Vorhofscheidewand in den linken Vorhof vorgebracht. In einem technisch komplexen Manöver wird dann das Clipsystem unter Kontrolle mittels transösophagealer Echokardiographie (TEE) auf die Durchtrittsstelle des größten Regurgitationsjets in der Mitralklappe ausgerichtet und dann der MitraClip durch die Mitralklappe in

Abb. 3: Ausgangsposition des MitraClips mit um 120° geöffneten Armen unterhalb der Mitralklappe vor dem Rückzug zum Fassen der beiden Mitralsegel in der transösophagealen Echokardiographie (LVOT-Blick mit geschlossener Aortenklappe rechts im Bild).

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den linken Ventrikel vorgeführt. Beim vorsichtigen Zurückziehen des geöffneten MitraClips vom linken Ventrikel zur Mitralklappe werden die beiden Mitralsegel gefasst und nach Schließen der Cliparme miteinander verbunden. Die durch das Clipping erreichte Bildung von zwei NeoOstien in der Mitralklappe und die damit verbundene Abnahme der Segelmobilität führen zu einer Verringerung der Mitralklappenöffnungsfläche und einer signifikanten Reduktion der Mitralklappeninsuffizienz (Abb. 2 bis 5). Sollte nach Setzung des ersten Clips noch immer eine signifikante Mitralklappeninsuffizienz zurückbleiben, so ist es möglich, den Clip an eine andere Stelle zu platzieren oder

B

Abb. 4: (A): MitraClip mit um 180° abgespreizten Armen und hochgeklappten Widerhaken („grippers“). (B): MitraClip-Einführsystem mit Guide und ClipDelivery-System auf der Stabilisator-Standplatte. Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Firma Abbott.

ggf. weitere Clips zu implantieren. Bevor ein Clip endgültig freigesetzt wird, muss über das TEE gesichert werden, dass keine bedeutsame Stenose der Mitralklappe erzeugt wurde. Die MitraClip-Implantation wird in aller Regel in Vollnarkose im Herzkatheterlabor durchgeführt und dauert durchschnittlich ein bis drei Stunden. Für eine MitraClip-Implantation kommen sowohl Patienten mit struktureller, wie auch mit funktioneller Mitralklappeninsuffizienz in Frage, sofern das Risiko einer konventionellen Mitralklappenoperation als inakzeptabel hoch einzustufen ist. Selektionskriterien für Patienten, bei welchen eine MitraClip-Implantation im Hinblick

Abb 5: Aufsicht auf die Mitralklappe in der dreidimensionalen transösophagealen Echokardiographie nach Fassen der beiden Mitralsegel in der Diastole mit Ausbildung von zwei Neo-Ostien.

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Tabelle I: Mittel- bis hochgradige Mitralinsuffizienz (Grad 3 oder Grad 4) Pathologie in den mittleren Mitralklappensegmenten A2/P2 Länge der Koaptationszone der beiden Mitralsegel > 2 mm Keine extreme Apikalverlagerung der Koaptationszone (bei funktioneller Mitralinsuffizienz): Koaptationstiefe < 11 mm Kein extremes Durchschlagen (flail) der Mitralsegel bei Sehnenfadenabriss Länge des beweglichen Anteils der Mitralsegel > 1 cm Keine ausgeprägten Kalzifikationen im mit dem MitraClip zu fassenden Segelbereich nahe dem Insuffizienzjet Keine asymmetrische Dicke der beiden Mitralsegel Keine Verkürzung des posterioren Mitralsegels auf < 8 mm Mitralklappenöffnungsfläche > 4 cm2 Tab. 1: Selektionskriterien bei der MitraClip-Implantation

auf Prozedurerfolg und klinischen Benefit günstig sein dürfte, sind in Tabelle 1 dargestellt. Die Komplikationsrate einer MitraClipImplantation ist in entsprechend erfahrenen Zentren erfreulicherweise relativ gering (11). Die 30-Tages-Mortalität beträgt in Abhängigkeit vom behandelten Patientenkollektiv 1 bis 3 %. An Komplikationen im Vordergrund stehen Nachblutungen im Bereich der venösen Punktionsstelle in der Leiste (ca. 4 %) und die Teilablösung des Clips von einem Segel (6,3 % nach einem Jahr).

EVEREST-II-Studie und Registerdaten In der EVEREST-II-Studie, einer prospektiven, randomisierten Studie, welche eine Nicht-Unterlegenheit der MitraClip-Therapie im Vergleich zur konventionellen Operation zeigen sollte, wurden 279 Patienten mit hochgradiger degenerativer (73 %) oder funktioneller Mitralklappeninsuffizienz (27 %) entweder mit dem MitraClip-System behandelt, oder es wurde die Mitralklappe konventionell chirurgisch rekonstruiert oder ersetzt (12, 13, 14).

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Ein primärer Prozedurerfolg der MitraClip-Implantation mit einer höchstens zweitgradigen Mitralklappeninsuffizienz zum Zeitpunkt der Krankenhausentlassung wurde bei 77 % der mit einem MitraClip behandelten Patienten erreicht. 16 % der Patienten, welche in der MitraClip-Gruppe nach Clipimplantation immer noch eine mehr als zweitgradige Mitralinsuffizienz aufwiesen, wurden vor ihrer Krankenhausentlassung doch noch konventionell an der Mitralklappe operiert, in der „Intention-to-treat-Analyse“ nach 12 bzw. 24 Monaten aber nach wie vor der MitraClip-Gruppe zugerechnet. Der kombinierte Sicherheitsendpunkt, bestehend unter anderem aus Tod, Schlaganfall, Reoperation, prolongierter maschineller Beatmung und Transfusionspflichtigkeit, wurde in EVEREST-II nach 30 Tagen in der MitraClip-Gruppe bei 15,0 % der Patienten, in der konventionell operierten Kontrollgruppe aber bei 47,9 % der Patienten erreicht. Das deutlich schlechtere Abschneiden der konventionell operierten Gruppe beim Sicherheitsendpunkt erklärte sich in erster Linie durch die deutlich höhere Transfusi-


onspflichtigkeit von 44,7 % im Vergleich zu 13,3 % in der MitraClip-Gruppe. Nach einem Nachbeobachtungszeitraum von zwei Jahren unterschieden sich die beiden Behandlungsarme in Hinblick auf Mortalität und Vorliegen einer hochgradigen Mitralklappeninsuffizienz nicht, dafür war aber die Rate einer doch noch erforderlichen Mitralklappenoperation bzw. Reoperation in der MitraClip-Gruppe mit 22,1 % gegenüber 3,5 % in der konventionellen Operationsgruppe statistisch signifikant erhöht. Insgesamt waren aber nach zwei Jahren 78 % der MitraClip-Patienten nach wie vor nicht konventionell an der Mitralklappe operiert worden. Wenn auch die Ergebnisse in der konventionell operierten Gruppe etwas besser waren, führten beide Behandlungsarten zu einer signifikanten und dauerhaften Reduktion des Schweregrads der Mitralklappeninsuffizienz und damit einhergehend zu einer deutlichen Verbesserung der NYHA-Klasse und der linksventrikulären Funktion. Da ein Einschlusskriterium für die randomisierte EVEREST-II-Studie die Operationsfähigkeit war und es keine Einschlusskriterien gab, die besonders komorbide Patienten selektierten, wurde das Patientengut, das heute vorrangig mittels MitraClip-Implantation versorgt wird, nämlich Patienten mit zu erwartender hoher perioperativer Mortalität, in der Studie nur unzureichend untersucht. In einem retrospektiven europäischen

Register, das 50 herzinsuffiziente Patienten mit einer Mitralklappeninsuffizienz vom Schweregrad III oder IV und einer linksventrikulären Ejektionsfraktion von 25 % oder weniger einschloss (eine solche stellte in EVEREST-II ein Ausschlusskriterium dar), konnte akut bei 92 % der Patienten eine Mitralklappeninsuffizienz vom Schweregrad II oder weniger erreicht werden. Die 30-Tages-Mortalität betrug 6 %, und nach sechs Monaten lebten noch 81 % der Patienten. Auch nach sechs Monaten ließen sich signifikante Verbesserungen in der NYHA- Klasse, dem 6-Minuten-Gehtest, der Größe des linken Ventrikels und dem BNP-Wert beobachten (15). Das deutsche Mitralklappenregister konnte zeigen, dass bei Patienten mit einem logistischen EuroSCORE von über 20 % vergleichbare Akutergebnisse wie bei Patienten mit einem logistischen EuroSCORE von unter 20 % erzielt werden konnten. Hierbei betrug die periinterventionelle Mortalität 6 % (16). Im prospektiven PERMIT-CARE Register, das 51 Patienten mit schwerer Mitralklappeninsuffizienz trotz zumindest bereits 6-monatiger kardialer Resynchronisationstherapie einschloss, ließ sich bei etwa 70 % der Patienten eine substanzielle Verbesserung der Herzinsuffizienz und der linksventrikulären Größe durch die MitraClip-Behandlung erreichen (17).

Fazit Bei adäquater Patientenselektion ist die kathetergestützte Rekonstruktion der Mitralklappe mit dem MitraClip eine neue, vielversprechende und relativ komplikationsarme therapeutische Alternative zur Operation, insbesondere für Patienten mit einem inakzeptabel hohen perioperativen Risiko für eine konventionelle Mitralklappenoperation. Der Eingriff kann bei der Mehrzahl der Patienten den Schweregrad der Mitralklappeninsuffizienz deutlich verringern, diese in der Regel aber nicht gänzlich beseitigen. Dennoch führt er zu einer signifikanten Verbesserung der körperlichen Belastbarkeit. Für den Fall, dass ein Patient nur ungenügend vom MitraClip profitiert, ist auch nach Clipimplantation eine konventionelle Mitralklappenoperation weiterhin möglich (18). Die Auswirkungen der nach MitraClip-Implantation verbliebenen Mitralklappeninsuffizienz werden derzeit noch kontrovers diskutiert und müssen im Hinblick auf Prognose, fortbestehende Herzinsuffizienzsymptomatik und Notwendigkeit eines erneuten Eingriffs in weiteren Studien abgeklärt werden.

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Der perkutane, kathetergestützte Aortenklappenersatz (TAVI) – die Methode der Wahl beim älteren Menschen? Alexander Würth1, Holger Schröfel2, Herbert Posival2, Bernd-Dieter Gonska1

D Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Bernd-Dieter Gonska St. Vincentius Kliniken Karlsruhe Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Freiburg Südendstr. 32 76137 Karlsruhe Tel.: 0721 8108-3168 Fax: 0721 8108-3170 prof.gonska@vincentius-ka.de www.vincentius-kliniken.de

1) St. Vincentius-Kliniken Karlsruhe Akademisches Lehrkrankenhaus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Abteilung Innere Medizin III – Kardiologie, Angiologie, Intensivmedizin 2) Klinik für Herzchirurgie Karlsruhe

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ie Prävalenz degenerativer Veränderungen der Aortenklappe nimmt mit dem Lebensalter zu. Bei ca. 20 % finden sich bis zum 75. Lebensjahr Sklerosierungen der Aortenklappe, zwischen 80 und 85 Jahren treten diese Veränderungen bereits bei ca. 43 % der Bevölkerung auf und sind bei Menschen über 85 Jahren in ca. 65 % der Fälle nachweisbar (1, 2). Die daraus resultierende degenerative Aortenklappenstenose ist das häufigste Klappenvitium in der westlichen Welt (3), eine Zunahme der Prävalenz dieses Herzklappenfehlers ist unmittelbar mit der steigenden Lebenserwartung verbunden und für die nächsten Jahre zu erwarten. Sobald sich bei einer Aortenstenose die typischen Symptome wie Angina pectoris, Dyspnoe oder Synkopen einstellen, sinkt die Lebenserwartung rapide. Während bei erstmaligem Auftreten von Angina pectoris die Lebenserwartung im Mittel noch fünf Jahre beträgt, sind es nur noch drei Jahre bei Auftreten von Synkopen und nur noch zwei Jahre, sobald es zu Herzinsuffizienzsymptomen kommt (4). Der Goldstandard zur Therapie von Patienten mit symptomatischer, hochgradiger Aortenstenose ist der operative Aortenklappenersatz mit Austausch der verkalkten Klappe durch eine mechanische oder biologische Prothese. Für diese Indikation besteht laut Leitlinien der Fachgesellschaften eine Klasse I-Empfehlung für den chirurgischen Aortenklappenersatz (5, 6). Diese Behandlung verbessert neben den Symptomen auch die Lebenserwartung signifikant. So liegt die 3Jahres-Überlebensrate nach chirurgischem Aortenklappenersatz bei über 80 % (7). Die operative Mortalität wird für den konventionellen Aortenklappenersatz

mit 2,5 bis 4,0 % angegeben (3, 8, 9), wobei das operative Risiko bei über 80jährigen Patienten auf 4,9 % und bei über 90-jährigen auf 9,6 % ansteigt (10). Kommen noch schwerwiegende Begleiterkrankungen dazu, steigt das Risiko eines operativen Aortenklappenersatzes auf bis zu 25 % an (10, 11, 12, 13). Da von einer hochgradigen, symptomatischen Aortenstenose aber häufig ältere Menschen mit multiplen Komorbiditäten betroffen sind, wurde bisher bis zu einem Drittel der in Frage kommenden Patienten nicht dem operativen Aortenklappenersatz zugeführt (3), vorwiegend aus Furcht vor dem hohen Risiko perioperativer Komplikationen. Aus diesem Grund wurden bereits in den Neunzigerjahren erste Versuche an Tieren unternommen, die Aortenklappe katheterinterventionell zu ersetzen (14). Im Jahr 2002 implantierten schließlich Cribier und Kollegen erstmalig eine ballonexpandierbare Aortenklappe beim Menschen (15). Seither stieg die Zahl der perkutan implantierten Aortenklappen und die Zahl der Zentren, die solche Eingriffe durchführen, sprunghaft an. Mittlerweile wurden weltweit mehr als 10 000 solcher TAVI (transcatheter aortic valve implantation)-Prozeduren durchgeführt.

Klappentypen und Implantationstechnik Momentan stehen zwei Klappentypen zur Verfügung: 1. die ballonexpandierbare Edwards Sapien XT Prothese (Edwards Lifesciences, Irvine, California, USA) (Abb. 1) 2. die selbstexpandierende Medtronic CoreValve Prothese (Medtronic Inc. Minneapolis, Minnesota, USA) (Abb. 2) Die Medtronic CoreValve Prothese


kann über die Leistenarterie oder die Arteria subclavia/axillaris implantiert werden. Sie ist eine Bioprothese aus Schweineperikard, die in einen ca. 5 cm langen, kelchförmig konfigurierten Nitinolrahmen, den sogenannten „frame“, genäht ist. Der untere, schmalere Teil des Rahmens kommt im Anulus der Aortenklappe zu liegen, während sich der obere, breitere Teil in der Aorta ascendens verankert; dadurch wird eine Embolisation der Prothese in die Aorta verhindert. Der Blutfluss in die Koronararterien bleibt aufgrund des speziellen Designs des Rahmens unbeeinflusst. Die Prothese wird kurz vor Implantation auf die Spitze eines Katheters montiert, wo sie zusammengefaltet in einer Hülse steckt. Nach Einbringen eines steifen Führungsdrahtes in den linken Ventrikel und einer Ballonvalvuloplastie wird der Katheter mit der montierten Prothese durch die Aorta zur nativen Aortenklappe vorgeschoben. Wird die Hülse zurückgezogen, entfaltet sich der Nitinolrahmen mit der Klappe schrittweise und springt schließlich nach kompletter Entfaltung von den Ladehäkchen. Damit ist die Prothese freigesetzt (Abb. 3). Kontrolliert wird die Lage der Prothese während der schrittweisen Freisetzung durch mehrfache Kontrastmittelgaben in die Aortenwurzel. Die Prothese ist aktuell in zwei Größen (26 und 29 mm) verfügbar, damit ist es möglich, Patienten mit einem Anulusdurchmesser von 20 bis 27 mm zu versorgen. Eine Prothese für größere Anuli steht kurz vor der Einführung.

Bei der Edwards Sapien XT Prothese handelt es sich um eine Klappe aus Rinderperikard, die in einen Rahmen aus Kobalt-Chrom genäht ist. Momentan ist die Klappe in drei Größen verfügbar, damit kann sie bei Patienten mit einem Anulusdurchmesser von 18 bis 27 mm implantiert werden. Der Rahmen („Stent“) wird ähnlich einem Koronarstent mit einem Ballon expandiert. Während bei der Vorgängergeneration die Prothese kurz vor der Prozedur direkt auf den Ballon aufgecrimpt wurde, wird die Sapien XT Prothese nun auf den Katheterschaft vor dem Ballon aufgecrimpt (Schritt 1 in Abb. 4), und erst nach Vorbringen der Prothese in die deszendierende Aorta wird die noch zusammengefaltete Prothese auf den Ballon gezogen (Schritt 2 in Abb. 4), bevor sie schließlich nach Passage des Aortenbogens und der Aorta ascendens im Aortenanulus expandiert wird (Schritt 3 in Abb. 4). Dadurch war es möglich, die Schleusengröße zu vermindern, um auch Patienten mit dünneren Beckenarterien transfemoral behandeln zu können. Die Prothese ist kürzer als die Medtronic CoreValve Prothese (14,3 bis 19,1 mm), da sie nur in den Anulus implantiert wird. Voraussetzung ist genügend Klappenkalk, damit sich die Prothese ausreichend verankern kann und nicht in den linken Ventrikel oder die Aorta disloziert. Die Prothese liegt nach Implantation vollständig unterhalb der Koronarostien und beeinflusst so den koronaren Blutfluss nicht.

Abb. 1: Edwards Sapien XT Prothese

Abb. 2: Medtronic CoreValve Prothese

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Abb. 3: CoreValve Prothese nach Implantation

Abb. 4: Schritte bei der transfemoralen Implantation einer Edwards Sapien XT

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Abb. 5: Edwards NovaFlex Katheter mit krümmbarer Katheterspitze zur Passage des Aortenbogens

tral im Aortenanulus zu positionieren. Für die Edwards Sapien XT Prothese ist eine zweite Rapid Pacing-Phase zur Klappenimplantation notwendig. Sowohl die Medtronic CoreValve als auch die Edwards Sapien XT Prothese können von transfemoral in Lokalanästhesie und systemischer Analgosedierung implantiert werden. Die transapikale Implantation der Edwards Sapien XT Prothese erfolgt über eine linkslaterale Minithorakotomie unter Vollnarkose. Dabei wird der Bereich der Herzspitze freigelegt und nach Anbringen von Tabaksbeutelnähten (siehe Abb. 6) punktiert. Nach Klappenpassage mittels Draht und Ballonvalvuloplastie wird eine 22-FrenchSchleuse in den linken Ventrikel geschoben, über die die Klappenprothese in Position gebracht und entfaltet wird. Der Verschluss der Punktionsstelle erfolgt beim transapikalen Zugang mit den vorgelegten Tabaksbeutelnähten, beim transfemoralen Zugang finden Nahtverschlusssysteme (z. B. Prostar oder Proglide, Fa. Abbott Vascular), die ebenfalls vorgelegt werden, Verwendung und gewährleisten in der Regel einen sicheren Verschluss der Punktionsstelle.

Sollte der kraniale Teil der Prothese vor den Koronarostien zu liegen kommen, besteht in der Regel trotzdem Zu- Patientenselektion gang zu den Koronarien, da nur der untere Prothesenteil, Patienten, die für einen perkutanen Aortenklappenersatz der im Anulus liegt, mit einer PET-Manschette ummantelt in Frage kommen, sollten neben einer hochgradigen, ist und durch den oberen, durchlässigen Teil (durch die Ma- symptomatischen Aortenstenose Kontraindikationen für schen des Rahmens) Blutfluss möglich ist. die konventionelle Operation aufweisen (z. B. PorzellanWährend die Medtronic CoreValve Prothese nur von re- aorta, Z. n. thorakaler Bestrahlung) oder haben aufgrund trograd (über die Leistenarterien oder die Arteria subcla- ihres fortgeschrittenen Alters und Begleiterkrankungen ein via/axillaris) zu implantieren ist, lässt die Edwards Sapien sehr hohes Risiko für den konventionellen chirurgischen XT Prothese neben dem retrograden transfemoralen Weg Aortenklappenersatz. Dieses Risiko sollte anhand von Riauch einen antegraden transapikalen Weg zu. siko-Scores abgeschätzt werden (v. a. der EuroSCORE und Bei Implantation einer Edwards Sapien XT Prothese ist STS-Score kommen hier zum Einsatz). vor der Klappenimplantation eine Ballonvalvuloplastie der nativen, verkalkten Aortenklappe notwendig, um eine Passage der Klappenprothese zu ermöglichen. Hierzu wird unter kurz andauernder schneller ventrikulärer Stimulation über einen passageren Schrittmacher im rechten Ventrikel (üblicherweise mit Stimulationsfrequenzen zwischen 180 und 200/Min, sog. „Rapid Pacing“) ein Valvuloplastieballon im Aortenanulus expandiert. Die Edwards Sapien XT Prothese muss von transfemoral mit einem Katheter in Position gebracht werden, dessen vorderer Anteil aktiv gekrümmt werden kann (siehe Abb. 5), um die Passage des Aortenbogens zu ermöglichen und die Prothese zen- Abb. 6: Freipräparierte Herzspitze mit Tabaksbeutelnähten

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EuroSCORE-Parameter: • Alter • Geschlecht • COPD • Extrakardiale Arterienerkrankung • Neurologische Erkrankung • Vorangegangene Perikarderöffnungen • Präoperativer Kreatininwert • Akute Endokarditis • Präoperativ Intensivpatient • Instabile Angina pectoris • Eingeschränkte linksventrikuläre Funktion • Frischer Myokardinfarkt • Pulmonale Hypertonie • Notfallindikation • Kombinationseingriff/keine isolierte ACVB-OP • Thorakaler Aorteneingriff • Postinfarkt-VSD

Erfüllt ein Patient die Kriterien für einen perkutanen Aortenklappenersatz, muss eine weitere Evaluation mittels transthorakaler, evtl auch transösophagealer Echokardiographie erfolgen, um Strukturen wie den Aortenanulus und die Aortenwurzel mit der angrenzenden Aorta ascendens in ihren Dimensionen zu beurteilen. Daneben spielt die Morphologie der nativen Aortenklappe mit dem Verkalkungsmuster eine wichtige Rolle, ebenso der Abstand der Koronararterien zum Aortenanulus. Hierbei hilft neben den Ultraschallverfahren die Computertomographie, die auch zur Darstellung und Vermessung der Becken- und Leistenarterien sowie der Aorta gebraucht wird (Abb. 7 und 8).

Der koronare Gefäßstatus muss, wie auch vor der konventionellen Operation, mittels Koronarangiographie abgeklärt werden. Kommen dabei signifikante Koronarstenosen zur Darstellung, sollten diese vor dem perkutanen Aortenklappenersatz mittels PTCA und Stentimplantation therapiert werden. Patienten, bei denen aufgrund ihrer Gefäßsituation im Leisten- und/oder Beckenbereich oder wegen morphologischer Veränderungen der Aorta ein transfemoraler Klappenersatz nicht möglich ist, kann in den meisten Fällen stattdessen ein transapikaler Klappenersatz mit der Edwards Sapien XT Prothese angeboten werden, sofern keine weiteren Kontraindikationen bestehen. Alternativ ist eine Implantation der Medtronic CoreValve Prothese über die Arteria subclavia oder axillaris möglich. In der Planung der Eingriffe spielt die dreidimensionale Darstellung der relevanten Strukturen eine immer größere Rolle, da die Messdaten, die während konventionellen echokardiographischen und radiologischen Verfahren (CT, Herzkatheteruntersuchung) erhoben werden, häufig mit Fehlern behaftet sind und durch eine dreidimensionale Aufarbeitung der Daten der Messfehler abnimmt. Neben einer automatischen Erkennung und Vermessung relevanter Parameter wie Aortenanulus und Koronararterienabstand gelingt es mit speziellen Applikationen, auch die Implantationsebene für die Klappenimplantation zu bestimmen, was Zeit, Strahlung und Kontrastmittel spart. Auch eine Beurteilung des Verkalkungsgrades der nativen Klappe und die Verteilung der Kalkanteile auf den Taschen (symmetrisch oder asymmetrisch) gelingt mit einer dreidimensionalen Planungssoftware besser. Momentan gibt es zwei Methoden, die eine dreidimensionale Darstellung der Aortenwurzel ermöglichen. Zum einen ist dies eine Rotationsangiographie, die mit der Herz-

Abb. 7 (links): CT-Darstellung Koronararterienabstand Abb. 8 ( rechts): 3D-Rekonstruktion der Beckenarterien

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katheteranlage durchgeführt wird. Dem Patienten wird hierzu im Verlauf der Herzkatheteruntersuchung eine definierte Menge Kontrastmittel in die Aortenwurzel injiziert, während die Röntgenröhre und der Detektor um die Längsachse des Patienten rotieren. Aus den gewonnenen Bilddaten wird eine dreidimensionale Darstellung der Aortenwurzel generiert. Eine andere Möglichkeit ist die Durchführung einer CT des Herzens und der Aorta ascendens mit Kontrastmittel im Vorfeld der TAVI-Prozedur. Die CT-Daten werden in ein Programm eingelesen, das aus dem Datensatz eine dreidimensionale Darstellung des Herzens und der Aorta ascendens ermöglicht (Abb. 9). Zusätzlich können dann virtuelle Klappenmodelle auf den Aortenanulus projiziert werden, um so die richtige Prothesengröße für den Patienten zu wählen.

des Patienten und Durchsicht aller Unterlagen und Untersuchungsbefunde. Idealerweise steht ein Hybrid-OP zur Verfügung, in dem der Eingriff stattfindet. Dieser OP-Saal, dem die Kriterien eines normalen herzchirurgischen OP-Saales zugrunde liegen, verfügt über eine Herzkatheteranlage mit ausreichend hoher Bildqualität. Die Anästhesie wird durch einen anwesenden Kardioanästhesisten gewährleistet, der durch einen Kardiotechniker unterstützt wird, sollte ein Einsatz der Herz-Lungen-Maschine notwendig werden. Alternativ kann der Eingriff (sofern nicht transapikal geplant) auch in einem Herzkatheterlabor stattfinden. Eine Vollnarkose ist dann nicht zwingend erforderlich, da die TAVI-Prozedur auch in Analgosedierung schnell und sicher erfolgen kann.

Komplikationen Personelle und apparative Voraussetzungen

Die wichtigsten Komplikationen beim transfemoralen Aortenklappenersatz umfassen neben vaskulären Problemen in den Beckengefäßen und der Aorta (Dissektion, Okklusion, Perforation, Blutung) Schlaganfälle, Prothesenembolisationen (in den LV oder in die aszendierende Aorta), Ventrikelperforationen, höhergradige AV-Blockierungen, Herzinfarkte, Nierenschäden und postprozedurale Aorteninsuffizienzen. Beim transapikalen Zugang spielen darüber hinaus auch Nachblutungen und Wundheilungsstörungen eine Rolle. Die Rate an vaskulären Komplikationen beim transfemoralen Zugang liegt momentan zwischen 3 und 4 % und konnte damit in den letzten Jahren insbesondere durch die Einführung dünnerer Schleusen gesenkt werden. Meist können Schäden am Gefäß, selbst Perforationen, durch eine Stent- bzw. Stentgraftimplantation im Iliacal- oder Femoralarterienbereich behandelt werden. Während es bei der Edwards Sapien XT Prothese relativ selten zu AV-Blockierungen kommt (4–8 %), steigt die Rate an schrittmacherbedürftigen AV-Blockierungen bei Implantation der Medtronic CoreValve Prothese bis auf 30 % an. Ein akuter Myokardinfarkt durch Obstruktion der Koronarostien oder Koronarembolien tritt in ca. 1 % der Fälle auf, zu einem Schlaganfall kommt es Abb. 9: Dreidimensionale Rekonstruktion der Aortenwurzel zur TAVI-Planung (HeartNavigator, Fa. Philips) in 2–5 % der Implantationen. Die Entscheidung, wo und mit welchem Personal die Eingriffe vorgenommen werden, hängt von den Gegebenheiten vor Ort ab. Häufig findet der Eingriff im Herzkatheterlabor statt, der Patient wird dazu sediert. Wir präferieren in Karlsruhe einen interdisziplinären Ansatz, bei dem Kardiologen, Herzchirurgen und Kardioanästhesisten ein TAVI-Team bilden, da so auch im Falle einer Komplikation schnell reagiert werden kann. Die Entscheidung, ob und auf welche Weise die in Frage kommenden Patienten behandelt werden, treffen der Kardiologe und der Herzchirurg gemeinsam nach klinischer Beurteilung

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Tabelle I: Schlaganfallrate (%) PARTNER EU transfemoral

3,2

PARTNER EU transapikal

2,9

SOURCE transfemoral

2,4

SOURCE transapikal

2,6

Konventioneller AKE (Hochrisikopat.)

2,8

Tab. 1: Schlaganfallraten

Nierenschäden treten mit einer Häufigkeit von 3–4 % auf (16, 17, 18, 19). Tabelle 1 gibt einen Überblick über die in Studien/Registern mit der Edwards Sapien Prothese beobachteten Schlaganfallraten im Vergleich mit der Schlaganfallrate, die bei einer konventionellen Aortenklappenersatz-OP bei Hochrisikopatienten zu erwarten ist. Eine Aorteninsuffizienz lässt sich häufig nicht komplett vermeiden, meist bedingt durch paravalvuläre Leckagen. Während leichtgradige bis moderate Aorteninsuffizienzen in circa 50 % der Fälle auftreten, findet sich eine schwere AI nur in weniger als 5 % der Prozeduren, ist dann aber mit einer schlechten Prognose verbunden (siehe unten).

Ergebnisse Der prozedurale Erfolg des perkutanen Aortenklappenersatzes liegt bei über 90 %. Die prozedurale Mortalität ist mit 1,2–1,7 % sehr gering, berücksichtigt man Alter und Begleiterkrankungen der Patienten. Die Mortalitätsrate steigt im Verlauf von 30 Tagen nach Implantation auf 5 bis 7 %, dabei gibt es keinen relevanten Unterschied zwischen den beiden verfügbaren Prothesen (20, 21). Nach einem Jahr liegt die Überlebensrate bei ca. 80 %, nach zwei Jahren leben noch etwa 60 % der behandelten Patienten (Tab. 2 und 3). Todesfälle, die im mittelfristigen Zeitraum nach der Klappenimplantation auftreten, sind meist durch nicht-kardiale Ursachen bedingt, gehen also von den häufig schwerwie-

genden Begleiterkrankungen aus (23). So sind fast 50 % der mittelfristigen Todesfälle nicht kardialer Ursache (pulmonal, renal, zerebral). Prädiktoren für ein Versterben innerhalb der ersten 30 Tage nach der Implantation sind neben der Notwendigkeit einer periprozeduralen hämodynamischen Unterstützung eine pulmonale Hypertonie und eine schwere Mitralinsuffizienz (20, 21, 22, 23). Als wichtiger Prognosefaktor hat sich in den letzten Jahren das Ausmaß der Aorteninsuffizienz nach perkutaner Aortenklappenimplantation herauskristallisiert. Je stärker die Aorteninsuffizienz nach dem Klappenersatz ausgeprägt ist, desto schlechter ist das Überleben der Patienten in den folgenden Monaten (24). Deshalb sollte eine Aorteninsuffizienz II° oder größer nicht akzeptiert werden und z. B. durch Nachdehnung der Prothese der Versuch unternommen werden, die meist paravalvulär lokalisierte Aorteninsuffizienz in einen geringen Schweregrad zu überführen. Die PARTNER-US-Studie (25) ist die erste prospektive, multizentrische, randomisierte, kontrollierte Studie, die die Sicherheit und Effektivität der Transkatheter-Aortenklappenimplantation mit der Edwards Sapien Prothese bei Hochrisikopatienten (Kohorte A) und nicht-operablen Patienten (Kohorte B) mit hochgradiger, symptomatischer Aortenklappenstenose untersuchte. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass sich durch TAVI die Mortalität bei inoperablen Patienten mit hochgradiger, symptomatischer Aortenstenose im Vergleich zur Standardtherapie (medikamentöse Therapie mit/ohne Ballonvalvuloplastie) signifikant senken lässt (nach einem Jahr 20 % Risikoreduktion, NNT: fünf Patienten), während die Auswertung der Kohorte A eine Nichtunterlegenheit von TAVI im Vergleich zur Standardtherapie (konventioneller Aortenklappenersatz) bei Hochrisikopatienten (EuroSCORE > 20) ergab.

Tabelle II: 30 Tage

6 Monate

Edwards Sapien

9,5 %

17,2 %

CoreValve

9,9 %

18 %

Tab. 2: 30-Tage- und 6-Monats-Mortalitätsraten im FRANCE 2-Register abhängig vom implantierten Klappentyp (22)

Tabelle III: Edwards transfemoral N=1139

CoreValve transfemoral N=639

Edwards transapikal N=465

CoreValve (via A. subclavia) N=127

30 Tage

7,8 %

10,3 %

11,5 %

11 %

6 Monate

13,4 %

14,4 %

19,4 %

18,7 %

Tab. 3: 30-Tage- und 6-Monats-Mortalitätsraten im FRANCE 2-Register abhängig vom implantierten Klappentyp und dem Zugangsweg (22)

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Tabelle V:

Tabelle IV: TF (n=83) Alter

82,6 Jahre 82,2 Jahre

Weiblich

46 (55 %)

52 (56 %)

COPD

16 (19 %)

32 (34 %)

Pulmonale HTN

27 (32 %)

22 (24 %)

Niereninsuffizienz

17 (20 %)

21 (23 %)

Log. EuroSCORE

20,1

25,9

5 (6 %)

14 (15 %)

Carotisstenose

18 (22 %)

22 (24 %)

KHK

52 (63 %)

53 (57 %)

pAVK

TF (n=83)

TA (n=93)

Tod (innerhalb 30 Tagen)

3 (4 %)

7 (8 %)

Schlaganfall

3 (4 %)

3 (3 %)

Dialyse

1 (1 %)

4 (4 %)

Permanenter Schrittmacher

10 (12 %)

6 (6 %)

Periphere Gefäßkomplikation

12 (14 %)

0 (0 %)

0 (0 %)

0 (0 %)

TF (n=83)

TA (n=93)

TA (n=93)

Myokardinfarkt Tab. 5: Komplikationen

Tabelle VI:

Tab. 4: Charakteristika der behandelten Patienten (TF = transfemoral, TA = transapikal)

Überleben nach 30 Tagen

96 %

92 %

Überleben nach 6 Monaten

93 %

91 %

Eigene Ergebnisse

Überleben nach 12 Monaten

88 %

88 %

Seit 2008 wurden in unserer Arbeitsgruppe insgesamt 176 TAVI-Prozeduren durchgeführt. Die folgenden Tabellen 4, 5 und 6 geben die Patientencharakteristika, aufgetretene Komplikationen und das Überleben der von uns behandelten Patienten wieder.

Ausblick In Zukunft werden vermutlich noch dünnere Schleusensysteme, bessere dreidimensionale Planungswerkzeuge und repositionierbare Klappentypen die Komplikationsraten weiter sinken lassen, und es ist davon auszugehen,

Tab. 6: Überleben

dass das Verfahren dann auch in zunehmendem Maße bei Patienten mit niedrigerem Risiko angewendet werden wird. Neuroprotektionssysteme, die über die Arteria radialis eingeführt werden, befinden sich bereits in Erprobung. Ob damit eine Senkung der Schlaganfallrate erreichbar ist, bleibt Gegenstand von Studien. Ein entscheidender Punkt bleibt zunächst jedoch die Frage der Langzeithaltbarkeit der Prothesen, über die im Moment keine Daten existieren.

Neue Wege in der Schlafmedizin DGSM-Kongress in Mannheim Marion Zerbst und Werner Waldmann

E

inen Paradigmenwandel erleben wir zurzeit in der Behandlung der obstruktiven Schlafapnoe (OSA). Beim noch bis vor kurzem unumstrittenen Goldstandard der Schlafapnoe-Therapie – der nasalen Überdruckbeatmung (nCPAP) – ist die Adhärenz ein großes Problem: Nicht jeder Patient mag ein Leben lang mit Gerät und Maske schlafen. Außerdem gibt es Therapieversager. Nicht zuletzt deshalb spielen nachts getragene Protrusionsschienen, die den Unterkiefer vorverlagern und so die oberen Atemwege erweitern, in der Schlafapnoe-Therapie eine immer wichtigere Rolle.

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„In den ersten fünf Jahren brechen zirka 30 % der Patienten ihre Therapie ab“, erläuterte Holger Wöhrle in seinem Vortrag beim ResMed-Symposium „Was tun, wenn CPAP versagt?“ Und man weiß inzwischen auch schon sehr genau, bei welchen Patienten das der Fall sein wird: „Diejenigen, die in den ersten drei Monaten Probleme mit der Therapie bekommen, haben eine extrem hohe Abbruchrate.“ Mit solchen Patienten sollte man über sinnvolle Alternativen sprechen. Eine weitere Problemgruppe sind Schlafapnoiker, die nicht unter Symptomen (Tagesschläfrigkeit etc.) leiden, für die eine Therapie aber dennoch rat-


Zusammenfassung Der perkutane Aortenklappenersatz stellt bei einem Risikokollektiv für den konventionellen chirurgischen Aortenklappenersatz eine vielversprechende Alternative dar, da die prozeduralen und mittelfristigen Ergebnisse exzellent sind. Die bisher meist konservativ, medikamentös therapierten älteren Patienten mit einer hochgradigen, symptomatischen Aortenstenose profitieren zu einem hohen Prozentsatz von dem Eingriff sowohl in hämodynamischer als auch in klinischer Hinsicht. Die sorgfältige Evaluation der anatomischen Gegebenheiten und die richtige Patientenselektion vor einer perkutanen Aortenklappenimplantation sind von entscheidender Bedeutung für ein gutes Resultat. Mithilfe einer Kombination aus bereits verfügbaren Untersuchungsverfahren wie Angiographie, Echokardiographie und Computertomographie, die in Zukunft durch dreidimensionale Bildgebungsverfahren zur korrekten Klappenpositionierung noch ergänzt werden, wird sich zusehends eine in erfahrener Hand sichere Methode zur Behandlung des häufigsten Herzklappenfehlers durchsetzen. Ob das Verfahren in Zukunft auch bei Patienten mit niedrigem Risiko für einen konventionellen Aortenklappenersatz zum Einsatz kommen sollte, müssen Studien zeigen. Die Langzeithaltbarkeit der perkutan implantierten Aortenklappen ist momentan aufgrund der Kürze des bisherigen Erfahrungszeitraums noch nicht klar, weshalb aktuell für die Mehrzahl der Patienten noch der konventionelle Aortenklappenersatz den Goldstandard darstellt. Derzeit sollten daher nur alte, multimorbide Patienten (z. B. mit COPD, Niereninsuffizienz, pulmonaler Hypertonie, neurologischen Begleiterkrankungen, Zustand nach Herzoperationen, relevanter extrakardialer Arteriopathie) oder Patienten mit Kontraindikationen für eine konventionelle Aortenklappenoperation (z. B. Porzellanaorta, Zustand nach thorakaler Bestrahlung) mit dieser neuen Methode behandelt werden (26, 27). Neben der Implantation der Prothesen in die verkalkte native Aortenklappe bietet die Methode auch eine Möglichkeit, degenerierte Bioprothesen in Aortenklappen- oder Mitralklappenposition (sogenannte „Valve-in-valveProzedur“) zu therapieren.

„Schlafmedizin: Standards und Alternativen“, so lautete das Motto der diesjährigen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) in Mannheim. Denn gerade in einer sehr interdisziplinär ausgerichteten Wissenschaft wie der Schlafforschung ist es wichtig, über den Tellerrand der allgemein üblichen Diagnostik und Therapie hinauszuschauen.

sam ist, um das Herz-Kreislauf-Risiko zu senken oder einen schwer einstellbaren Bluthochdruck besser behandeln zu können. Auch hier kann eine Unterkieferprotrusionsschiene eine sinnvolle Alternative sein. Denn: Je geringer die Beschwerden, umso schlechter die CPAP-Adhärenz. Die Schienen haben sich bei leichter bis mittelschwerer Schlafapnoe inzwischen bereits etabliert und werden auch in der neuen S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen“ empfohlen. Studien haben gezeigt, dass die Ergebnisse einer Schienentherapie bei Patienten mit leichter bis mittelschwerer Schlafapnoe in jeder Hinsicht so gut sind

wie mit CPAP: Die Tagesschläfrigkeit, beurteilt anhand der Epworth Sleepiness Scale, lässt sich dadurch genauso effektiv lindern, nämlich um zwei Punkte. Und der Blutdruck sinkt im Schnitt um 2 mmHg – ebenso wie bei einer CPAPTherapie. „CPAP ist bei milder bis moderater Schlafapnoe nicht mehr der Goldstandard – die Daten sind vergleichbar“, lautet das Fazit von Holger Wöhrle. Wichtig ist nur, dass man die richtigen Kandidaten für eine Schienentherapie heraussucht. Erfolgversprechend sind Protrusionsschienen bei so genannten „Peanuts“ (Menschen mit fliehendem Kinn) und bei Patienten mit großer Zunge und kleinem Unterkie-

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fer. Auch bei positionsabhängiger Schlafapnoe ist eine Schiene vielversprechend, während sie bei stark übergewichtigen Patienten eher nicht zum Erfolg führt.

Schienentherapie langsam titrieren Auch die Art der Schiene ist wichtig: Studien zeigen eindeutig, dass titrierbare Schienen (also solche, bei denen der Unterkiefer je nach Bedarf stärker oder schwächer vorverlagert werden kann) am effektivsten sind. Und natürlich muss man die Therapie auch richtig einstellen: „Das Ausmaß der Protrusion ist für den Therapieerfolg entscheidend“, betont Holger Wöhrle und empfiehlt eine allmähliche Titration. „Es ist genau wie mit Stretching-Übungen: Da fängt man ja auch nicht gleich mit der maximalen Dehnung an“, erklärt er. Nebenwirkungen (z. B. Kieferbeschwerden, empfindliche Zähne, entzündete oder gereizte Wangenschleimhaut und übermäßiger Speichelfluss) treten erfahrungsgemäß hauptsächlich zu Beginn der Therapie auf und lassen mit der Zeit nach. Wöhrle arbeitet bei seinen Patienten auch gerne mit Kombi-Therapien: So kombiniert er Schienen und Rückenlageverhinderungswesten. „In Seitenlage ist der Protrusionseffekt einfach besser“, meint er. Und Patienten, die einen hohen CPAP-Druck nicht tolerieren oder bei denen sich die Atemwege selbst durch CPAP nicht ausreichend öffnen lassen, verschreibt er auch schon einmal eine Kombination aus Beatmungsgerät und Schiene.

Schlafapnoe – eine vermeidbare Krankheit? Eigentlich erfordern schlafbezogene Atmungsstörungen aber einen ganz anderen Ansatz: Prävention statt Therapie. Das erläuterte der „Star“ des Kongresses, Prof. Christian Guilleminault, der das Phänomen der obstruktiven Schlafapnoe in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts entdeckte und erstmals beschrieb. Guilleminault war extra aus dem kalifornischen Palo Alto angereist, um Schlaf- und Zahnmedizinern zu erklären, dass man die Entstehung einer obstruktiven Schlafapnoe bei Erwachsenen in vielen Fällen verhindern kann, indem man schon bei Babys und Kleinkindern auf schlafbezogene Atmungsstörungen achtet. Die jetzige schlafmedizinische Diagnostik und Therapie, so Guilleminault, setzt erst an, wenn schon eine irreversible chronische Erkrankung vorliegt: Bei OSA-Patienten sind Nerven und Muskulatur der oberen Atemwege durch die Gewebsvibrationen beim Schnarchen bereits irreparabel geschädigt, sodass in der Regel eine lebenslange Therapie erforderlich ist. Das muss nicht sein. Denn Schlafapnoe entsteht nicht nur durch Übergewicht. Oft stecken Gesichts- und Kieferfehlbildungen bzw. -fehlentwicklungen im frühen Kindesalter dahinter, die später zwangsläufig zu einer obstruktiven Schlafapnoe führen, wenn man sie nicht rechtzeitig erkennt und behandelt. Guilleminault zeigte das Foto eines schlafenden Babys, das mit unnatürlich über-

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streckter Halswirbelsäule auf der Seite liegt, den Kopf weit in den Nacken gelegt. „Diese Haltung nehmen Kinder ein, um ihre Atemwege zu öffnen, wenn sie während des Schlafens nicht genügend Luft bekommen“, erklärt er. Nächstes Foto: Ein Kleinkind, ebenfalls mit überstrecktem Kopf, das sich im Schlaf wild herumwirft. Das sind Alarmsignale, bei denen Eltern hellhörig werden sollten – ebenso natürlich, wenn ihr Kind schnarcht. „Jedes Kind, das schnarcht, muss untersucht werden“, so Guilleminault. Ein weiteres Warnsignal ist die Mundatmung: Offener Mund und häufiges Durch-den-Mund-Atmen können auf eine beeinträchtigte Nasenatmung hindeuten. Außerdem können Gesicht und Kiefer sich bei Mundatmung nicht richtig entwickeln. Weitere mögliche Symptome für schlafbezogene Atemstörungen im Kindesalter sind übermäßiges Schwitzen im Schlaf, Schlafwandeln, Verhaltensauffälligkeiten in der Schule, Konzentrationsstörungen und Hyperaktivität – das so genannte „Zappelphilipp-Syndrom“. Und oft verrät schon die Gesichtsform alles. Guilleminault zeigte uns sein nächstes Bild: Zwei Profile, Vater und dreijähriger Sohn – beide mit dem gleichen stark fliehenden Kinn. Dass dieses Kind später einmal eine schlafbezogene Atmungsstörung entwickeln wird, ist jetzt schon vorprogrammiert. „10 bis 36 % unserer Gesichtsdimensionen ererben wir von unseren Eltern“, erklärte Guilleminault.

Operative Mandelentfernung: nicht immer erfolgreich Was tun? „Heute werden bei Kindern mit schlafbezogenen Atemstörungen normalerweise als Erstes die Rachenund Gaumenmandeln entfernt“, kritisiert er. „Wenn das nichts bringt, versucht man eine CPAP-Therapie.“ Kein optimales Vorgehen: Denn die operative Entfernung der Rachen- und Gaumenmandeln (Adenotonsillektomie) ist nur in 35 bis 50 % aller Fälle erfolgreich. Eigentlich müsste hier eher der Kieferorthopäde Hand anlegen. Mit Spangen lässt sich beispielsweise ein zu enger Kiefer erweitern, sodass sich das Gesicht (und damit auch die oberen Atemwege) normal entwickeln können. Eine solche Korrektur muss aber frühzeitig erfolgen: Bereits in den ersten vier Lebensjahren prägen sich nämlich 60 % unseres „Erwachsenengesichts“ aus. Ein begleitendes Training für die Gesichts- und Zungenmuskulatur hilft Kindern, von der Mundatmung wieder auf Nasenatmung umzustellen und den Mund geschlossen zu halten. Nur so ist – durch den Druck der Zunge auf den Oberkiefer – ein normales Kieferwachstum möglich.

Diagnostik und Therapie bei alten Patienten: Umdenken ist angesagt Ein weiteres klassisches Beispiel dafür, dass man mit den etablierten, standardmäßigen Diagnostik- und Therapie-


verfahren nicht unbedingt immer weiterkommt, sind ältere Patienten. Denn im Alter herrschen besondere Gegebenheiten, die der Arzt berücksichtigen muss. Das zeigt sich zum Beispiel an einer der beliebtesten Methoden zur Messung von Tagesschläfrigkeit, der Epworth Sleepiness Scale (ESS): Bei diesem Fragebogen muss der Patient beantworten, wie hoch seine Wahrscheinlichkeit ist, in bestimmten Situationen einzunicken – zum Beispiel beim Lesen, vor dem Fernseher oder als Autofahrer an einer roten Ampel. Eine Studie mit alten und hochbetagten Patienten hat gezeigt, dass nur ein Drittel der Befragten diesen Fragebogen überhaupt ausfüllte – und 38 % dazu gar nicht mehr in der Lage waren. Viele beantworteten die letzte Frage nicht, weil sie in ihrem hohen Alter nicht mehr Auto fuhren. Wenn man einfach eine Frage weglässt, stimmt aber die Punktzahl (und damit auch die Auswertung) nicht mehr. Dies zeigt, dass in der Diagnostik von Tagesschläfrigkeit bei älteren, pflegebedürftigen Menschen andere Wege eingeschlagen werden müssen. Deshalb wurde jetzt der Essener Fragebogen Alter und Schläfrigkeit entwickelt, der nicht auf Patientenaussagen basiert, sondern von Pflegepersonal oder pflegenden Angehörigen ausgefüllt wird. Abrufbar ist er auf der Homepage der DGSM unter www.charite.de/dgsm/dgsm/fachinformationen_frageboegen_efas.php?language=german. Auch in der Therapie von Schlafstörungen und schlafbezogenen Erkrankungen müssen bei Senioren vielfach neue Wege beschritten werden. Eine CPAP-Therapie scheitert bei hochbetagten Patienten mit OSA häufig daran, dass ihre Atempumpfunktion nicht mehr richtig funktioniert. In solchen Fällen ist als Kompromisslösung eine reine nächtliche Sauerstofftherapie zu erwägen. Dies gilt beispielsweise für Schlaganfallpatienten, die naturgemäß meistens älter sind. Viele Menschen entwickeln nach einem Schlaganfall eine obstruktive Schlafapnoe. Man weiß, dass diese Atmungsstörung ihre Genesungschancen verschlechtert und ihre Lebenserwartung senkt. Eine CPAP-Therapie kann die kognitive Funktion solcher Patienten verbessern; ob sie langfristig etwas bringt, ist jedoch ungewiss. Soll man einem Patienten, der ohnehin schon durch den durchlittenen Schlaganfall in seiner Funktion und Lebensqualität eingeschränkt ist, nun auch noch zumuten, dass er Nacht für Nacht mit Gerät und Maske schläft? Erfahrungsgemäß ist die CPAP-Compliance solcher Patienten relativ schlecht. Auch hier kann es sinnvoll sein, Alternativen ins Auge zu fassen – z. B. die bereits erwähnte nächtliche Sauerstoffgabe oder eine Vermeidung der Rückenlage. Falls der Patient ein erhöhtes Risiko für einen weiteren Schlaganfall hat, sollte man dieses möglicherweise lieber auf medikamentösem Weg senken als durch eine CPAPTherapie.

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Nierenarteriendenervation als neues Therapieprinzip bei schwerer arterieller Hypertonie des Diabetikers

Claudia Bischoff, Wolfgang Motz

D Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Wolfgang Motz Klinikum Karlsburg der Klinikgruppe Dr. Guth GmbH & Co. KG Klinik für Kardiologie Greifswalder Str. 11 17495 Karlsburg Tel.: 038355 70-1283 Fax: 038355 70-1655 prof.motz@drguth.de www.drguth.de

ie Behandlung der arteriellen Hypertonie im Jahre 2011 hat zwei Probleme: 1. Um die von den internationalen Hochdruckligen geforderten ambitionierten Zielwerte (Senkung des systolischen Blutdruckes unter 140 mmHg, bei Diabetikern unter 135 mmHg) zu realisieren, ist häufig eine Polypharmakologie notwendig. Nicht selten werden insbesondere insulinpflichtige Diabetiker gleichzeitig mit einem Diuretikum, einem ACE-Hemmstoff bzw. einem AT-I-Rezeptorblocker, einem Renin-Inhibitor, einem Betarezeptorenblocker, einem Kalziumantagonisten und bei Nichterreichen der Zielwerte noch zusätzlich mit einem zentralen Antisympathitonikum behandelt. Außerdem muss man bedenken, dass diese Patienten zusätzlich noch mit einem Thrombozytenaggregationshemmer, einem Statin und zudem mit oralen Antidiabetika behandelt werden. Nicht selten resultiert eine gleichzeitige Therapie mit zehn Medikamenten! 2. Das zweite Problem der heutigen

Die interventionelle renale Sympatikusdenervation • Ist sicher und komplikationsarm durchführbar. • Kann bei Patienten mit therapieresistenter Hypertonie zu einer signifikanten und anhaltenden Blutdrucksenkung führen (Daten bislang über 24 Monate) • Kann die Aktivität des gesamten sympathischen Nervensystems reduzieren. • Ist eine Therapieoption für Patienten mit medikamentös nicht einstellbarer Hypertonie. • Beeinflußt möglicherweise den Glukosestoffwechsel und die Insulinsensitivität bei Patienten mit therapieresistenter Hypertonie positiv.

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Bluthochdrucktherapie ist die Tatsache, dass nur 30 % der arteriellen Hypertoniker eine adäquate antihypertensive Einstellung mit Blutdruckwerten im Zielbereich aufweisen. Diese Diskrepanz zwischen der Anzahl der Behandelten (ca. 70 % Hypertoniker) und der tatsächlich im Zielwert eingestellten Patienten ist weiterhin ungelöst. Die Nierenarteriendenervation erweitert das therapeutische Armentarium der Bluthochdrucktherapie signifikant. Es ist lange bekannt, dass das zentrale Nervensystem eine wichtige Rolle bei der Entstehung und der Aufrechterhaltung des arteriellen Hypertonus hat. Über sympathische periphere Afferenzen, vorwiegend auch aus der Niere, kommt es zu einer zentralen Verschaltung im Hirnstamm. Entsprechend kommt es entweder zu einer Verstärkung oder Abschwächung efferenter sympathischer Nervenfasern. Der zentrale Sympathikus vermittelt unter anderem eine Vasokonstriktion der peripheren Arterien, eine Steigerung der Insulinresistenz sowie Herzhypertrophie, Myokardischämie und Arrhythmien. Weiterhin kommt es über den Sympathikus auch zu einer Beeinflussung der renalen Reninfreisetzung, einer Abschwächung des renalen Blutflusses und einer Zunahme der Natriumchloridretention. Bei der Nierenarteriendenervation wird ein Ablationskatheter in die rechte und linke Nierenarterie eingeführt. Durch Applikation von Hochfrequenzenergie (Wärme) werden in der Regel fünf bis sechs Ablationen in jeder Nierenarterie über einen Zeitraum von jeweils zwei Minuten durchgeführt. Durch die kontrollierte lokale Energieabgabe kommt es zu einer Ablation von renalen sympathischen Nervenfasern, die sich in der Tunica Adventitia der Nierenarterien befinden. Untersuchungen haben


gezeigt, dass durch diese Maßnahmen keine Verletzungen der Nierenarterien bzw. keine Nierenarterienstenosen resultieren. Die Methode der renalen Nierenarterienablation ist im Rahmen einer internationalen multizentrischen randomisierten Studie (Renal sympathetic denervation in patients with treatment-resistant hypertension (The Symplicity HTN-2 Trial): a randomised controlled trial, Lancet 2010; 376: 1903–09) überprüft worden. Ziel der Studie war der Nachweis der Sicherheit und Wirksamkeit der renalen Denervation bei Patienten mit einer therapierefraktären arteriellen Hypertonie. Einschlusskriterien waren ein systolischer Blutdruck von 160 mmHg oder höher (bzw. bei Patienten mit Typ 2-Diabetes > 150 mmHg) trotz nachgewiesener Einnahme von drei oder mehr antihypertensiv wirksamen Medikamenten (Lancet 2010; 376: 1903–09). Bei 84 % der behandelten Patienten kam es zu einer Senkung des systolischen Blutdruckes von > 10 mmHg, bei 40 % der mit renaler Nierenarteriendenervation behandelten Hypertonikern nach sechs Monaten zu systolischen Blutdruckwerten < 140 mmHg in den Zielbereich. Die renale Nierenarteriendenervation hat nicht nur eine günstige Wirkung auf die Senkung des arteriellen Hypertonus, sondern auch eine günstige Einwirkung auf den Blutzucker-Stoffwechsel. So konnte die Arbeitsgruppe um Professor Böhm, Bad Homburg, zeigen (Circulation 2011; 123: 1940–1946), dass die antihypertensive Wirkung bei Typ 2-Diabetikern auch von einer Senkung des Nüchternglukosewertes um ca. 9 mg% bei gleichzeitiger Senkung der Nüchterninsulinkonzentration um ca. 9–10 µU/ml begleitet werden. Diese ersten Untersuchungen zum Glukosestoffwechsel sind vielversprechend und müssen in weiteren größeren speziellen Diabetikerstudien vertieft werden. Der günstige Einfluss einer renalen Nierenarteriendenervation auf den arteriellen Hochdruck und den Glukosestoffwechsel spricht für die Bedeutung der zentralen Stellung des Sympathikotonus bei Hochdruck und Diabetes mellitus bzw. metabolischem Syn-

• Freigegebene Energie maximal 8 Watt • Temperatur zwischen 40–65° • Generator schaltet sich bei einer Temperatur > 75° automatisch ab • 5–6 Ablationen jeder Nierenarterie (abhängig von Morphologie der Nierenarterie) • Jede Energieabgabe erfolgt über zwei Minuten

drom. Dies spricht auch dafür, dass die renale Nierendenervationsbehandlung auch als Kausaltherapie anzusehen ist. Nachdem auch bei der chronischen Herzinsuffizienz die Aktivierung des Sympathikotonus und des Reninangotensin-Aldosteron-Systems eine zentrale Rolle spielt, dürfte die renale Nierendenervationstherapie zukünftig auch bei diesem Krankheitsbild eine Rolle spielen. Zusammenfassend ist die interventionelle renale Sympathikusdenervation sicher und komplikationsarm durchführbar. Sie kann bei Patienten mit therapieresistenter Hypertonie zu einer signifikant anhaltenden Blutdrucksenkung führen (Daten bislang über 24 Monate verfügbar). Sie kann die Aktivität des gesamten sympathischen Nervensystems reduzieren und ist eine rationale Therapieoption für Patienten mit medikamentös nicht einstellbarer Hypertonie. Außerdem beeinflusst sie den Glukosestoffwechsel günstig und dürfte auch zukünftig eine zentrale Rolle beim metabolischen Syndrom spielen.

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Arztehen am Anschlag Probleme und Lösungsmöglichkeiten Bernhard und Ines Mäulen • Dr. A. ist völlig verzweifelt und teilt mit, seine Frau drohe mit einer Trennung. Ihr sei seine Affäre mit der Arzthelferin bekannt geworden – ob man da noch was retten könne? • Dr. B. berichtet, wie unendlich erschöpft sie sich fühle; zuerst habe sie sich über die Stelle als Oberärztin gefreut und großen Einsatz gezeigt, aber jetzt fühle sie sich zu oft bodenlos leer. Ihre Ehe nehme sie nur noch am Rande war, für Sex sei sie schon lange zu müde; sie selbst wundere sich, dass ihr Mann noch zu ihr halte – so könne es nicht weitergehen. • Arztehefrau C. sagt als Erstes: „Mein Mann weiß nicht, dass ich hier bin“ und schildert ihre Einsamkeit und Leere an der Seite des erfolgreichen Chefarztes. Nach außen hin würden viele sie ja beneiden, aber wenn sie ehrlich sein soll, dann habe sie nichts von ihrem Mann. Oft sei er zu müde oder zu lustlos für ein Gespräch, alles drehe sich eh nur noch um die Klinik. Die Versorgung der Kinder und des Hauses hinge ausschließlich an ihr, sie liebe ihren Mann, aber sie habe Angst, die Klinik würde die Ehe kaputt machen. Es scheint, als ob die Ehen von Ärzten derzeit besonders gefährdet sind. Offenbar vereinnahmt die Arbeitsverdichtung und der ökonomische Druck nicht nur die/den einzelne/n Ärztin/Arzt, sondern betrifft allzu oft auch die Familie gleich mit. Zumindest kommen immer mehr Arztpaare mit diesen oder ähnlichen Schilderungen in unsere Praxis und unsere Kurse. Grundsätzlich scheinen Arztehen recht stabil, werden seltener geschieden als im Durchschnitt der Bevölkerung. Überdurchschnittlich oft heiraten Arzt und Ärztin bzw. Arzt/Ärztin und eine Person aus dem Berufsfeld (Krankenschwester, Rettungssanitäter, Arztsekretärin oder Kran-

kengymnast). Einerseits ist dadurch ein besseres Verstehen des beruflichen Umfeldes und Stresses gegeben, andererseits besteht die Gefahr, dass sich auch zu Hause alles um die Medizin dreht (1).

Probleme in Arztehen Ärztinnen und Ärzte sehnen sich nach Liebe, Nähe und Glück, wie alle anderen Menschen auch. Zugleich lernen sie in ihrer Berufsausbildung, sich primär um Patienten, die Klinik, die Praxis zu kümmern und eben nicht um sich selbst. Diese berufsspezifische Sozialisation ist tief und nachhaltig! Sie hat viel mit den Gründen der Berufswahl zu tun, die oft in einem überhöhten Selbstanspruch und Helferideal liegen (2). Doch so banal es auch klingen mag: Wenn ich im Beruf alles gegeben habe, bin ich privat leer und bedürftig. Und auf Dauer kann der Arzt/die Ärztin zu Hause eben nicht nur bedingungslose Rücksicht, Unterstützung und Hingabe erwarten, wenn von ihm/ihr selbst wenig zurückkommt – zumindest nicht bei den heutigen anspruchsvollen Beziehungserwartungen (3). Das erste Problem der Arztehe ist: Wie finden wir ausreichend Zeit für unsere Beziehung? Die Medizin war schon immer ein anspruchsvoller Beruf, über längere Zeit war es ungeschriebenes Gesetz in vielen Klinken, dass Assistenzärzte unverheiratet zu sein hatten. Selbst heute kommen Einwürfe von KollegInnen, die Teilzeitarbeit von ÄrztInnen angesichts des Ärztemangels nicht mehr für moralisch vertretbar halten (4). Die Facharztausbildung, Wochenend- und Notdienste, Zusatzaufgaben, wissenschaftliches Arbeiten – all das kostet eine Menge Zeit. Dazu kommt die heute sehr anspruchsvolle Dokumentation (Arztbriefe, DRG-Verschlüsselung etc.). In der Praxis kommen auch noch Gutachten, Versicherungs- und zahlreiche

Korrespondenzadresse: Drs. med. Bernhard und Ines Mäulen Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, Paartherapie Vöhrenbacherstr. 4 78050 Villingen-Schwenningen www.be-yourselfBeziehungstherapie.com docmaeulen@googlemail.com

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Abrechnungsfragen hinzu. All dies führt schnell zu einer Arbeitsbelastung bis zu 60 Stunden pro Woche. Und damit bleibt zu wenig Zeit für die Arztehe. Das zweite Problem der Arztehe ist: Wie gelingt die emotionale Öffnung füreinander? Als Ärztin/Arzt sollte ich die Kontrolle bewahren, die Übersicht behalten, objektiv diagnostizieren und therapieren, in Notfällen kühl und überlegt vorgehen; das heißt, die Kontrolle eigener Emotionen ist wichtig für das Funktionieren im Beruf. In der privaten Beziehung geht es aber oft darum, Gefühle zuzulassen, die Kontrolle abzugeben, weicher zu werden, Nähe und Intimität zuzulassen. Das können viele Ärzte und Ärztinnen nicht so ohne weiteres, weil ihre Persönlichkeit und ihre berufliche Sozialisation andere Seiten verstärken (5). Das dritte Problem der Arztehe ist: Wo holen wir uns Hilfe, wenn’s brennt? Ärztinnen und Ärzte sind in der jeweiligen Stadt oder Gemeinde bekannt, sie haben einen Ruf zu verlieren, sie wollen ungern ihr Privatleben einem Kollegen offenbaren. Oft gibt es Überschneidungen und Rollenkonflikte zwischen privater und beruflicher Ebene. Dazu kommt, dass sich in Paartherapien unweigerlich die weniger schmeichelhaften Persönlichkeitsseiten zeigen: Gier, Egoismus, Kälte, emotionale Sturheit, Untreue, Geiz, Narzissmus, Machtanteile. Es braucht viel Vertrauen in den Behandler/die Behandlerin, vor allem, wenn es um einen Kollegen geht – Vertrauen in die Kompetenz und (genauso wichtig) Vertrauen in die absolute Verschwiegenheit (6).

Tabelle I: Grundbedürfnisse in (Arzt-)Beziehungen 1. Klare Priorität für gemeinsame Zeit 2. Vertrauen 3. Selbstverantwortung 4. Emotionale Offenheit 5. Berührung 6. Regelmäßiger Sex 7. Gemeinsame Interessen außerhalb der Medizin 8. Kluger Finanzplan (nicht zu viele Schulden) 9. Aufmerksamkeit füreinander 10. Ehrlichkeit

Bedürfnisse von Ärzten in einer Beziehung Jede Arztehe ist anders und nicht alle Menschen wünschen sich das Gleiche. Und doch hören wir in den Paar-

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gesprächen immer wieder die gleichen Wünsche und Bedürfnisse von den Kollegen. Als Erstes bedarf es einer gemeinsamen Verständigung auf eine Zeit zu zweit, so viel oder wenig das auch sein kann. Man sollte also nicht abwarten, wie viel Zeit übrig bleibt, wenn alles getan ist, sondern von vornherein die gemeinsame Zeit im Kalender einplanen, dies gilt ganz besonders für die Ferien! Man braucht Zeitgrenzen am Abend, am Wochenende und auch für die Gesamtarbeitszeit. Das Zweite ist Vertrauen darauf, dass mein Partner/meine Partnerin es gut meint mit mir. Vertrauen wächst in einer Beziehung, wenn ich das, was ich sage, auch tue bzw. zeige. Lügen und Außenbeziehungen zerstören Vertrauen. Viele Ärzte hoffen unbewusst, mit der Heirat jemand zu finden, der sich um sie kümmert (während man selbst ja voll auf die Patienten ausgerichtet ist), und vergessen, dass sie dafür weiterhin selbst verantwortlich sind. Es ist wichtig, sich diese Selbstverantwortung bewusst zu machen, um die regressiven Bedürfnisse nicht ausschließlich dem anderen aufzuhalsen. Emotionale Offenheit ist wohl das A und O dessen, was Nähe und Intimität ausmacht. Viele Arztfrauen sagen: „Ich wünsche mir so sehr, dass mein Mann sich Zeit nimmt und mit mir spricht.“ Diese Offenheit ist schön und sie ist schwierig. Auch wenn man sie zu Hause nicht gelernt hat, lässt sich dies später nachholen. Viele Paartherapeuten sehen in der emotionalen Offenheit das entscheidende Kriterium für Intimität und nicht in der Sexualität, so wichtig diese auch sein mag (7). Ein weiteres Grundbedürfnis ist das nach Berührung. Berührung vermittelt Nähe, Vertrauen und Bindung. Wir hören in unseren Paarkursen immer wieder, dass Ärzte sich Berührung genauso dringend wünschen wie Sex. Den regelmäßigen Sex braucht es natürlich auch, er ist ein wichtiger „Klebstoff der Ehe“. Gemeinsame Interessen außerhalb der Medizin sind als Ausgleich notwendig. Zu viele Arztehen kreisen um Klinik oder Praxis – umso mehr, wenn beide Partner in der Medizin tätig sind. Etwas zu haben, was beide interessiert und erfüllt – sei es im Kulturbereich, im Naturerleben, im Sport o. Ä. – schafft eine wichtige Balance in der Ehe. Wichtig ist auch ein kluger Finanzplan: In unserer Praxis hören wir zu oft von Arztpaaren, die sich privat oder beruflich so viele Schulden aufgehalst haben, dass nichts mehr geht. Nur die wenigsten realisieren zum Zeitpunkt einer Investition die Dauerbelastung für ihre Ehe. Die grundlegende Aufmerksamkeit für den Partner, seine Gedanken, seine Gefühle und Bedürfnisse ist ein sich erneuerndes Band. Nicht alle, aber viele ÄrztInnen wünschen sich diese Aufmerksamkeit und resignieren, wenn sie ausbleibt. Ehrlichkeit in der Arztehe ist manchmal schwierig, unbequem, aber sie bringt Respekt, Vertrauen und Belastbarkeit, die auch durch noch so schöne Lügen nicht erreichbar sind. Für manche Teilnehmer unserer


Kurse ist es eine große Erleichterung, wenn der Partner/die Partnerin endlich seine innere Wahrheit auch in Worte kleidet (umso mehr, als viele sie ja vorher auch schon gespürt haben).

Was tun, wenn es brennt? Arztpaare warten zwar noch etwas länger als der Bevölkerungsdurchschnitt, kommen aber wie andere Paare auch erst in eine Therapie, wenn es brennt. Auslöser können sein: eine plötzliche Trennungsdrohung, eine Außenbeziehung, Gewalt in der Ehe, Suizidalität, eine zugespitzte Sucht (8), äußerer oder innerer Zusammenbruch u. v. m. Meist soll dann ganz schnell professionelle Hilfe verfügbar sein, was selbst bei Kollegen nicht so ohne weiteres geht. Müssen immer beide Partner kommen? Durchaus nicht – selbst wenn zunächst nur eine/einer am eigenen Anteil der Eheprobleme arbeitet, gibt es Fortschritte! Fortschritte, die dann wiederum den anderen Partner motivieren können, auch mitzukommen. Initial ist am wichtigsten die Vermittlung von Hoffnung, die man begründet geben kann. Als Zweites geht es um die Triage: Hat einer der beiden eine seelische Krankheit, die zunächst primär versorgt werden muss – zum Beispiel eine Abhängigkeit, Depression, Manie, Burnout, Angststörung, Arbeitsstörung? Dann sollte in aller Regel in ein bis drei Gesprächen eine Übereinkunft über die Behandlung geschlossen und gegebenenfalls Kontakt zu einschlägigen Spezialisten vermittelt werden. Wenn keine psychische Krankheit vorliegt, beginnt man mit der Paartherapie. Beide Partner werden aufgefordert, ihre gefühlte Geschichte der Beziehung zu schildern, die oft ganz entschieden anders klingt als die des Ehepartners. Es geht darum, von Streit und Vorwürfen („Das ist alles deine Schuld!“) wegzukommen und wieder zuhören zu lernen (9). Da massive Gefühle – insbesondere Schmerz, Trauer, Eifersucht, Hass und enttäuschte Liebe – beteiligt sind, bedarf es eines geschützten Raums, um diese Gefühle

auszudrücken. Manchmal geht das zunächst nicht im Beisein des jeweils anderen, in der Mehrzahl der problematischen Arztehen aber dann doch. Unserer Erfahrung nach sind dafür außer Gesprächen auch Beziehungs-Workshops sinnvoll, da sie neben Erkenntnissen auch Erfahrungen und hilfreiche Übungen für zu Hause vermitteln. Nach und nach tritt ein Wandel ein; auch wenn im Alltag des Paares noch genügend Spannungen auftreten, kommt wieder eine gewisse Nähe auf. Es zeigt sich, dass entgegen dem anfänglichen Eindruck doch noch viele positive Gefühle vorhanden sind. Von dort ausgehend verhandeln die Ehepartner über Wünsche, Grenzen, Veränderungspunkte, so dass beide sich nach und nach wieder wohler fühlen. Was verlangt dies von den Arztpaaren? 1. Aushalten einer gespannten Ehesituation über die ersten Wochen und z. T. Monate. Meist hat es viele Jahre gebraucht, um in die Krise zu kommen; eine Heilung dauert. 2. Bereitschaft und Disziplin, die eigenen destruktiven Impulse in der therapeutischen Schutzzone anzusprechen und auszudrücken, nicht aber im Ehealltag. Das kann im Einzelfall schwer sein (10). 3. Das Sich-Einlassen auf die Perspektive des anderen. 4. Die Akzeptanz, dass man nicht alles bekommen kann – ich werde nie den Idealpartner/die Idealpartnerin haben, ein Teil meiner Wünsche wird in jeder Beziehung frustriert werden. 5. Die Bereitschaft, mich um mich selbst zu kümmern – Selbstverantwortung ist ein wichtiger Teil der Heilung eines Paares. Statt zu viel vom anderen zu verlangen, übernehme ich es selbst, meine grundlegenden Bedürfnisse zu erfüllen. 6. Verhandlungsbereitschaft, um das in dieser Beziehung Machbare auszuloten. Das klingt unromantisch und ist es auch, ermöglicht aber tatsächlich ein befriedigenderes Miteinander in der Ehe.

Fazit Wir können Arztpaaren begründete Hoffnung machen, dass eine Paartherapie Fortschritte bringt. In den meisten Fällen bleiben die Paare zusammen, finden eine neue Harmonie, Wertschätzung und Glück, vielleicht in kleinerer Münze als ursprünglich gehofft. Die destruktiven Prozesse werden drastisch reduziert. Selbst wenn es zu einer Trennung kommt, ergibt sich selten der Rosenkrieg, sondern eher eine Lösung per Mediation, die für alle Beteiligten langfristig günstiger ist. Vor einer Paartherapie sollten psychische Grundkrankheiten wie Substanzabhängigkeit, Depression, Burnout, Arbeitsstörung behandelt werden. Die besten Chancen, wieder eine lebendige Beziehung zu leben, haben diejenigen, die erkennen, dass beruflicher Erfolg und Ehrgeiz wenig Befriedigung geben, wenn dabei die Familie kaputtgeht. Und die deshalb der Beziehung zu sich und zum Partner eine wichtige Priorität einräumen; die lernen, sich um sich und den anderen zu kümmern und aus einer emotionalen Zurückhaltung zu mehr Zulassen und Ausdruck von Gefühlen zu kommen.

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Kunst über alle Grenzen: Die European Artists

K In der ersten Reihe sieht man Werke von folgenden Künstlern (von links nach rechts): Thuraya Al-Baqsami (Kuwait), Brunivo Buttarelli (Italien), Maryam Al-Zadjali (Oman), Dusan Todorowitsch (Serbien), Janos Sebestyen (Ungarn), Wolfgang Brenner (Deutschland) Zweite Reihe: Oleh Nedoshytko (Ukraine), Yasemin Yilmaz (Deutschland), Janusz Cywicki (Polen), Bojana Stojakovic (Bosnien und Herzegowina), Simone Ramshorn (Deutschland)

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Kardioforum 2 | 2011

unst ist im Grunde immer international. Kunst kennt keine Grenzen. Das war schon immer so, im Mittelalter, in der Renaissance, in der Zeit des Kalten Krieges und das ist heute so. Wenn Kunst in Grenzen gezwängt wird, dann wird sie in diktatorischen Regimen geboren, so wie die Kunst der Nationalsozialisten oder die Kunst der Sowjetunion. Dennoch ist es etwas Besonderes, wenn eine Künstlerin Kollegen aus der ganzen Welt immer wieder zu Symposien zusammenruft und gemeinsame Ausstellungen organisiert. Es ist deswegen etwas Besonderes, weil es ungeheuer viel Organisationstalent und finanzielles Geschick erfordert, 20, 30 oder 40 Künstler aus unterschiedlichsten Teilen und Kulturen der Welt an einen Ort zu

Dr. Magda Antonic

bringen, an dem man gemeinsam arbeitet und anschließend die von jedem Künstler individuell geprägten Werke der Öffentlichkeit präsentiert. Karola Teschler ist so eine Persönlichkeit, der das seit Jahren immer wieder gelingt. Die Gründerin und Präsidentin des Vereins „European Artists e. V.“ ist selbst Künstlerin. Schon als Kind beseelte die Kunst ihr Leben. Aufgewachsen in der Bäckerei ihrer Eltern, verbrachte sie viel Zeit in der Backstube mit der Gestaltung von Teigresten und dem Malen mit Fingern im Mehl. Auch die Straße vor der Bäckerei blieb, zum Leidwesen ihrer Mutter, nicht vor der kreativen Energie verschont und so entstanden lebensgroße Figuren und Fabelwesen. Eine schwere Erkrankung erforderte einen operativen


Eingriff mit einer längeren Behandlung auf der Intensivstation. Damit war im Alter von neun Jahren ihr Interesse an der Medizin und der Krankenpflege manifestiert. Karola Teschler machte eine Ausbildung als Krankenschwester und arbeitete einige Jahre in dem Beruf, hat aber niemals den Blick für die Kunst verloren. Als nach einem Umzug in ein neues Haus die Wände unangenehm kahl und kalt wirkten, wurde wieder ihre alte Leidenschaft geweckt und sie begann zu malen. Bald begriff sie, dass ihr einige Grundkenntnisse fehlen und sie begann ein privates Kunststudium, aber nicht nur einfach so und irgendwo. Ihre Lehrer gehören zur Crème de la Crème der Gegenwartskunst: Prof. Robert Hammerstiel in Wien, Prof. Alexander Danov in Düsseldorf, Prof. Lüpertz an der Kunstakademie Bad Reichenhall. Die Einladung zu einem internationalen Symposium für Künstler in Rumänien eröffnete einen völlig neuen Horizont für Karola Teschler. Dort lernte sie internationale Künstler kennen und war begeistert ob der vielfältigen Arbeitsweisen und der Kreativität. Der Gedanke, auch in Deutschland einen interkulturellen Austausch in Form eines Symposiums ins Leben zu rufen, war geboren. 2003 gründete sie den Kunstverein European Artists e. V., um Künstler aus ihren Ateliers heraus zu gemeinsamen Projekten zusammenzuführen. Alle Künstler, die Karola Tesch-

ler gerufen hat, sind von weither gekommen und schnell wuchs man zu einer internationalen Familie von Künstlern zusammen. Mittlerweile gehören 55 Künstler aus 25 Ländern zum Verein. Es handelt sich dabei überwiegend um Professoren von Akademien und Universitäten. Maler sind darunter, Grafiker, Fotografen, Video- und Performancekünstler, Bildhauer – alles ist dabei. Man trifft sich zum jährlichen Symposium in Essen-Werden und wenn sich die Möglichkeit, zum Beispiel zu Kooperationsprojekten mit anderen Ländern ergibt, kann die Reise auch nach Ägypten, Finnland, Italien, Spanien, Jordanien, Österreich, Oman, Polen, Serbien oder Taiwan führen. In all diesen Ländern haben die European Artists ihre kreativen Spuren hinterlassen. Um diese Kontakte knüpfen zu können, nimmt Karola Teschler an internationalen Konferenzen teil, steht in Kontakt mit den Deutschen Botschaften in den verschiedenen Ländern, kooperiert mit Kunstakademien und besucht Künstler in ihren Ateliers. Ziele des European Artists e. V. sind die Förderung der Zusammenarbeit von Künstlern verschiedener Kulturen, die Förderung der Gegenwartskunst und ihre Vermittlung, die Förderung der Völkerverständigung über die Kunst, die Organisation von internationalen Symposien, und die Organisation von internationalen Ausstellungen. Probleme bereitet noch das Geld. Die Künstler zahlen

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ihre Reisekosten, aber die Unterkunft und Verpflegung übernimmt der Verein. Damit diese Unkosten irgendwie gedeckt werden, stellt jeder Künstler drei seiner Bilder dem Verein zur Verfügung. Karola Teschler muss diese Arbeiten verkaufen. Das ist nicht immer einfach, doch aufgeben käme für die willensstarke Frau nie in Frage. Im Gegenteil: Sie weitet ihre Tätigkeit immer mehr aus. Da sie ihren Beruf als Krankenschwester sehr geliebt hat, ihn wegen diverser Allergien jedoch aufgeben musste, suchte sie nach einer Möglichkeit, beides zu verbinden: die Kunst und die medizinische Pflege. Sie fand diese Möglichkeit in Kenia. Dort betreut sie für ihre Kirchengemeinde drei Projekte. Es geht um ein Krankenhaus, ein Hospital und die Unterstützung von Aidswaisen – Kinder deren Eltern an einer HIV-Infektion verstorben sind. In Form von Patenschaften kann den Kindern eine fundierte Schulbildung gesichert werden. Für 35 Kinder wurden bereits Paten gefunden. Auch die European Artists sollten sich sozial an dem Projekt betätigen. Sie sollten kleinformatige Bilder zur Verfügung stellen, die auf Ausstellungen gezeigt und zu Gunsten des Ausbaus einer Kinderstation am Asumbi Mission Hospital in Kenia verkauft werden. So entstand der Ausstellungszyklus „art20“. Insgesamt haben sich 150 Künstler mit etwa 500 Bildern an dieser Aktion beteiligt. Man kann auf weitere Aktivitäten neugierig sein. Weitere Informationen unter www.europeanartists-ev.de

Abb. rechts: Ralf Klement (Deutschland) Abb. unten links: Ahmet Sakr (Ägypten), Abb. unten rechts: Karola Teschler (Deutschland)

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Kardioforum 1 | 2010

Kurzvita von Karola Teschler 1958

geboren in Kirchen Seit 1986 wohnhaft in Velbert Seit 2000 Freischaffende Künstlerin 1996 – 2004 Freies Kunststudium bei Prof. Robert Hammerstiel, Wien; Prof. Alexander Danov, Düsseldorf; Prof. Lüpertz, Kunstakademie Bad Reichenhall 2003 Gründerin und Präsidentin des internationalen Kunstvereins „European Artists e.V.” in Velbert Seit 2000 Regelmäßige Ausstellungstätigkeit. Zahlreiche Gruppenausstellungen in Museen, Galerien und öffentlichen Gebäuden national und international. Kurator von internationalen Symposien, Projekten und Ausstellungen.


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40 % der kardiologischen Patienten leiden an Schlafapnoe* Prävalenz schlafbezogener AtmungsstÜrungen bei kardiovaskulären Erkrankungen*

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Koronare Herzerkrankungen

Patienten mit schlafbezogenen AtmungsstĂśrungen

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Bluthochdruck

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Chronische HerzinsufďŹ zienz

Vorhofimmern

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Schwer einstellbarer Bluthochdruck

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